Im Laufe der Evolution haben Zellen zahlreiche Strategien entwickelt, um sich gegen den osmotischen Druck in ihrem Inneren zu rüsten und so in einer Vielzahl von Habitaten wachsen können. Die meisten Bakterienarten besitzen eine elastische Zellwand, deren Hauptbestandteil, das Peptidoglykan, die Zelle als dichtes Polymernetzwerk umgibt. Neben ihrer Schutzfunktion ermöglicht die Zellwand auch die Bildung spezieller Zellformen, wie Kugeln, Stäbchen oder Spiralen, und begünstigt so die Fortbewegung, die Besiedelung von Oberflächen und die Pathogenität.
Eine Zellwand bringt ihre eigenen Herausforderungen mit sich: Zellen müssen sie ständig umbauen, um wachsen und sich teilen zu können. Dazu müssen sie sehr sorgfältig Brüche in der Wand erzeugen, damit sie sich ausdehnen und verändern kann, und gleichzeitig die entstandenen Lücken sofort wieder mit neuem Material füllen, damit die Wand nicht kollabiert.
Für Zellwandumbau enge Abstimmung erforderlich
- Dieser Prozess des Zellwandumbaus umfasst die Spaltung von Bindungen durch lytische Enzyme (Autolysine) und den anschliessenden Einbau von neuem Zellwandmaterial durch Peptidoglycan-Synthasen.
- Die Aktivitäten dieser beiden antagonistischen Proteingruppen müssen eng aufeinander abgestimmt sein, um Schwachstellen in der Peptidoglykanschicht zu vermeiden, die zur Zelllyse und damit zum Zelltod führen würden.
Ein Forscherteam um Martin Thanbichler, Max-Planck-Fellow am Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie und Professor für Mikrobiologie an der Philipps-Universität Marburg, hat sich zum Ziel gesetzt, die Zusammensetzung und Funktion der autolytischen Maschinerie zu entschlüsseln. Seine Studien konzentrieren sich auf das halbmondförmige Bakterium Caulobacter crescentus, das im Süsswasser vorkommt und häufig als Modellorganismus verwendet wird, um grundlegende zelluläre Prozesse in Bakterien zu untersuchen.
Laut Martin Thanbichler ist die Untersuchung der Funktion von Autolysinen eine schwierige Aufgabe: «Während wir viel über die synthetische Maschinerie wissen, erwiesen sich die Autolysine als harte Nuss.» Das kann Maria Billini, Postdoktorandin im Team von Martin Thanbichler, aus eigener Erfahrung bestätigen: «Bakterien beherbergen in der Regel viele Arten von Autolysinen aus verschiedenen Enzymfamilien mit unterschiedlichen Zielen. Das bedeutet, dass diese Proteine hochgradig redundant sind und die Deletion einzelner Autolysin-Gene oft nur geringe Auswirkungen auf die Zellmorphologie und das Wachstum hat.»
Multifunktioneller Autolysin-Regulator DipM
Die Analyse potenzieller Autolysin-Regulatoren hat ergeben, dass ein Faktor namens DipM eine zentrale Rolle beim bakteriellen Zellwandumbau spielt. Dieser wichtige Regulator interagiert überraschenderweise mit mehreren Klassen von Autolysinen sowie mit einem Zellteilungsfaktor und zeigt damit eine Promiskuität, die für diese Art von Regulatoren bisher unbekannt war. DipM ist in der Lage, die Aktivität von zwei Peptidoglykan spaltenden Enzymen mit völlig unterschiedlichen Aktivitäten und Faltungen zu stimulieren und stellt somit den ersten bisher beschriebenen multifunktionellen Autolysin-Regulator dar. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass DipM eine einzige Bindestelle nutzt, um mit seinen verschiedenen Zielproteinen zu interagieren.
«Wenn wir DipM ausschalten, kommt es zu einer Fehlregulation verschiedener Prozesse des Zellwachstums und der Zellteilung, und somit letztendlich zum Zelltod», erklärt Adrian Izquierdo Martinez, Doktorand und Erstautor der Studie. «Die korrekte Funktion dieses Proteins als Koordinator der Autolysin-Aktivität ist daher entscheidend für das Wachstum und die Vermehrung von C. crescentus».
Die umfassende Charakterisierung von DipM deckte ein neuartiges Interaktionsnetzwerk auf, einschliesslich eines sich selbst verstärkenden Regelkreises, der zu einer Anreicherung von bestimmten Autolysinen an der Zellteilungsebene von C. crescentus führt und in ähnlicher Weise auch in anderen Bakterien vorliegen dürfte.
«DipM koordiniert damit ein komplexes Autolysin-Netzwerk, das sich in seiner Struktur deutlich von den bisher untersuchten Autolysin-Systemen unterscheidet», wie Martin Thanbichler betont. «Die Untersuchung solcher Multienzym-Regulatoren, die bei Fehlfunktion mehrere zellwandrelevante Prozesse gleichzeitig beeinflussen, erlaubt uns nicht nur zu verstehen, wie die Zellwand auf Veränderungen in der Zelle oder in der Umwelt reagiert. Sie kann auch zur Entwicklung neuer therapeutischer Strategien beitragen, die Bakterien abtöten, indem sie mehrere autolytische Prozesse gleichzeitig unterbrechen.»PS