RNA kann in vielen Varianten im Körper vorkommen. Am bekanntesten sind die messenger RNAs (mRNAs). Sie tragen in ihrer Struktur einen Code, der als Bauplan für Proteine dient. So codieren zum Beispiel die mRNAs in den Corona-Impfstoffen für Proteine von SARS-CoV-2.
Neben den mRNAs gibt es im Körper aber eine Vielzahl von RNAs, die nicht für Proteine codieren. Viele Jahre hielt man diese RNA für Abbauprodukte längerer RNA – also für genetischen Müll. «Wir waren vor 15 Jahren eine der ersten Gruppen weltweit, die untersucht haben, ob die nichtcodierenden RNAs wirklich Müll sind. Dabei haben wir herausgefunden, dass diese RNA-Moleküle in den Zellen wichtige Steuerungsaufgaben übernehmen», berichtet Prof. Thomas Thum, Co-Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Toxikologie und Experimentelle Medizin ITEM.
Nicht codierende Mikro-RNAs an Umbauprozessen im Herz beteiligt
Thomas Thum konnte zeigen, dass nichtcodierende Mikro-RNAs an krankhaften Umbauprozessen im Herzgewebe beteiligt sind, so zum Beispiel die Mikro-RNA 21. Sie ist besonders häufig in Herzen, deren Bindegewebe verhärtet ist. Durch diesen Befund ergab sich die Möglichkeit für einen neuen Therapieansatz. Zusammen mit einem Kooperationspartner konstruierte Thum eine Anti-Mikro-RNA, die im Schlüssel-Schloss-Prinzip an die Mikro-RNA 21 bindet und sie damit neutralisiert. Das war der Durchbruch. Das Forschungsteam konnte zeigen, dass man durch gezielte Hemmung einer nichtcodierenden Mikro-RNA die Verhärtung von Herzgewebe verhindern kann. Diesen Befund patentierte die Arbeitsgruppe und publizierte ihn 2008 in der Fachzeitschrift Nature. Die Anti-Mikro-RNA 21 wird mittlerweile vom Pharmakonzern Sanofi in einer klinischen Phase-2-Studie bei Patienten mit Nierenfibrose getestet.
Hemmung der Mikro-RNA hat heilenden Effekt
Bei den Experimenten an Herzgewebe fiel Thums Team noch eine weitere Mikro-RNA auf. Sie trägt die Nummer 132 und stimuliert ein pathologisches Herzwachstum, das schliesslich zu einer Herzinsuffizienz führt. Und auch hier liess sich durch Hemmung der Mikro-RNA ein positiver, heilender Effekt erzielen, zuerst in den Zellkulturschalen, später in weiteren präklinischen Versuchen. Damit erfüllte die Anti-Mikro-RNA 132 alle Voraussetzungen, um in der Klinik an Patienten mit Herzinsuffizienz getestet zu werden.
Erste klinische Studie erfolgreich abgeschlossen
Mit der Gründung des Start-Ups Cardior Pharmaceuticals gelang Thum 2016 der Sprung vom Labor in die klinische Studie am Menschen. Daran nahmen 28 Herzinsuffizienz-Patienten teil. Die Ergebnisse sind vielversprechend. «Wir haben gezeigt, dass die Therapie mit Anti-Mikro-RNA 132 sicher ist und keine Nebenwirkungen an anderen Organen hervorruft», berichtet Thum. «Ausserdem konnten wir eine Verbesserung der Herzinsuffizienz-Marker beobachten.» Nach diesem positiven Befund gab es frisches Kapital und damit grünes Licht für die Phase-2-Studie. Sie soll bereits in der ersten Jahreshälfte 2022 starten und wird an 280 Patienten in mehreren europäischen Ländern durchgeführt.
Während die klinischen Studien laufen, arbeitet Thum mit seinem Team intensiv an neuen RNA-Therapien. Im Fokus steht dabei unter anderem die Lungenfibrose. «Wir hoffen, dass sich diese bislang unheilbare Krankheit mithilfe der RNA-Therapie ursächlich behandeln lässt.»PS