Frauen sind dreimal häufiger von Migräne betroffen als Männer. Besonders zahlreiche und heftige Attacken erleben sie rund um die Regelblutung, aber auch bei Eintritt in die Wechseljahre. Dagegen verbessern sich die Symptome in vielen Fällen während der Schwangerschaft, und auch mit Abschluss der Menopause werden die Migräneattacken seltener. Dass Hormonschwankungen mit Migräne in Zusammenhang stehen, ist also seit Langem bekannt. Wie genau sie das tun, ist dagegen noch immer grösstenteils unklar.
Entzündungsbotenstoff: Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP)
«Aus dem Tiermodell haben wir Hinweise, dass Schwankungen von weiblichen Hormonen – insbesondere von Östrogen – zu einer verstärkten Freisetzung des Entzündungsbotenstoffs CGRP im Gehirn führen», erklärt Dr. Bianca Raffaelli vom Kopfschmerzzentrum der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie am Charité Campus Mitte, die die Studie geleitet hat. «Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) ist eine körpereigene Substanz, die bei Migräne vermehrt ausgeschüttet wird und die Blutgefässe im Gehirn stark erweitert. Dadurch entsteht eine Entzündungsreaktion, die einer der Gründe für die starken Kopfschmerzen bei Migräne sein könnte.»
Erhöhter CGRP-Spiegel während der Menstruation
Anhand von insgesamt 180 Frauen prüfte die Charité-Forschungsgruppe nun, ob der Zusammenhang zwischen weiblichen Hormonen und der Ausschüttung von CGRP auch beim Menschen besteht. Dazu bestimmten die Forschenden bei Migränepatientinnen zweimal im Verlauf des Zyklus den CGRP-Spiegel, und zwar während der Monatsblutung und zum Zeitpunkt des Eisprungs. Ein Vergleich mit Frauen ohne Migräne belegte: Während der Menstruation ist die Konzentration an CGRP bei Migräne-Betroffenen deutlich höher als bei den gesunden Probandinnen.
«Wenn also der Östrogenspiegel zur Einleitung der Periode sinkt, schütten die Migränepatientinnen vermehrt CGRP aus», sagt Dr. Raffaelli. «Das könnte erklären, warum die betroffenen Frauen kurz vor und während der Monatsblutung häufiger Migräneattacken erleben.»
Bei Frauen, die die Pille einnehmen, gibt es kaum Schwankungen des Östrogenspiegels. Wie die Forscher in der aktuellen Studie nachwiesen, verändert sich auch die CGRP-Konzentration im Verlauf des «künstlichen Zyklus» nicht und ist bei Migränepatientinnen vergleichbar mit der gesunder Frauen. Ähnliches beobachteten die Wissenschaftler bei Frauen, die die Wechseljahre abgeschlossen hatten.
«Auch wenn diese Daten noch durch grössere Studien bestätigt werden müssen: Sie deuten darauf hin, dass beim Menschen die Freisetzung von CGRP abhängig vom hormonellen Zustand ist», resümiert Dr. Raffaelli. «Tatsächlich kann die Einnahme der Pille und das Ende der Wechseljahre manchen Migränepatientinnen Linderung verschaffen. Wie aber aus unserer Studie ersichtlich wird, gibt es Frauen, die auch ohne Hormonschwankungen Migräne bekommen. Wir vermuten, dass bei ihnen andere Prozesse im Körper eine Rolle bei der Entstehung einer Attacke spielen. Denn CGRP ist nicht das einzige entzündliche Peptid, das Migräne auslösen kann.»
Mögliche Relevanz für Migräne-Medikamente
Aufgrund der zentralen Funktion von CGRP in der Migräneentstehung sind in den letzten Jahren neue Medikamente entwickelt worden, die sich gegen den Botenstoff richten – CGRP-Inhibitoren. Dr. Raffaelli: «Auf Basis unserer Studie stellt sich nun die Frage: Haben CGRP-Inhibitoren bei verschiedenen hormonellen Zuständen eine unterschiedliche Wirkung? Wäre es also zum Beispiel sinnvoll, diese Medikamente zyklusabhängig zu verabreichen? Das müssen jetzt weitere Studien zeigen.»
Künftig wird das Forschungsteam untersuchen, welche weiteren körperlichen Prozesse durch den Menstruationszyklus beeinflusst werden und zur Entstehung von Migräneattacken beitragen könnten – zum Beispiel die Funktion der Blutgefässe oder die Erregbarkeit des Gehirns. Ausserdem planen die Forscher, auch den CGRP-Spiegel bei Männern unterschiedlicher Altersgruppen genauer in den Blick zu nehmen.PS