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WHO vollzieht Kurswechsel: Abnehmspritzen nun Teil der Adipositastherapie

Die Weltgesundheitsorganisation gibt in einer neuen Leitlinie grünes Licht für den Langzeiteinsatz von GLP-1-Medikamenten bei Adipositas. Gleichzeitig warnt sie vor globalen Versorgungsengpässen – und fordert einen regulierten Zugang.

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Mit der ersten globalen Leitlinie zum Einsatz von GLP-1-Therapien bei Adipositas vollzieht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Paradigmenwechsel: Adipositas wird klar als chronische, rezidivierende Erkrankung definiert, die lebenslange Versorgung benötigt – und mit GLP-1-Medikamenten behandelt werden kann.
«Obesity affects people in every country and was associated with 3.7 million deaths worldwide in 2024. Without decisive action, the number of people with obesity is projected to double by 2030», WHO.
Parallel dazu fasst ein Team um Francesca Celletti in einer Special Communication in «JAMA» die Leitlinie zusammen und erweitert sie um eine politische Botschaft: Der Zugang zu GLP-1-Therapien müsse die globale Gesundheitsgemeinschaft dazu anregen, ein neues Adipositas-Ökosystem aufzubauen, das «faire, integrierte und nachhaltige Lösungen» anbietet.
Zwei WHO-Empfehlungen
Die Leitlinie richtet sich an erwachsene Personen mit Adipositas (BMI ≥ 30), ausgenommen Schwangere. Die Kernbotschaft: GLP-1 wird klar als wirksame pharmakologische Säule anerkannt – aber nicht als Stand-alone-Lösung. Die Leitlinie enthält zwei Hauptempfehlungen:
1. GLP-1 als Langzeittherapie
  • GLP-1-Therapien (u. a. Liraglutid, Semaglutid, Tirzepatid) können bei Erwachsenen mit Adipositas als langfristige Behandlung eingesetzt werden (definiert als ≥ 6 Monate kontinuierliche Therapie).
  • Die Empfehlung basiert auf moderater Evidenz aus Studien mit 26–240 Wochen Dauer (u. a. zu Gewichtsverlauf, Lebensqualität, kardiovaskulären Ereignissen, Mortalität).
  • Sie ist bedingt, weil Langzeitdaten zu Sicherheit, Dosisanpassung, Erhaltung, Absetzen, Kosten, Systembelastung und Verteilungsfragen fehlen.
2. Kombination mit Verhaltenstherapie
  • Bei Patientinnen und Patienten, die GLP-1 erhalten, kann eine intensive Verhaltenstherapie angeboten werden.
  • Darunter versteht die WHO strukturierte Programme mit Zielvereinbarungen zu Bewegung und Ernährung und regelmässiger Erfolgskontrolle.

Der JAMA-Artikel ordnet GLP-1 in den breiteren klinischen Kontext ein: Ursprünglich für Typ-2-Diabetes zugelassen, haben die Substanzen einen Nutzen weit über die Gewichtskurve hinaus gezeigt. Stand Oktober 2025 sind 12 GLP-1-Therapien für Diabetes und/oder Adipositas zugelassen, über 40 weitere Wirkstoffe, inklusive Multirezeptor-Agonisten, befinden sich in Entwicklung.
«GLP-1 therapies mark more than a scientific breakthrough. They represent a new chapter in the gradual conceptual shift in how society approaches obesity—from a “lifestyle condition” to a complex, preventable, and treatable chronic disease.» Celletti et al., 2025.
Die Autorinnen und Autoren sprechen von einem «neuen Kapitel» und möglichem «tipping point» in der Adipositasversorgung: Erstmals steht eine Pharmakotherapie zur Verfügung, die an neuroendokrinen, metabolischen und verhaltensbezogenen Mechanismen gleichzeitig ansetzt – und damit eine multimodale, interdisziplinäre Versorgung ermöglicht.
Diskriminierungsfreie Behandlung
Die Leitlinie und der JAMA-Artikel betonen übereinstimmend: Adipositas ist eine komplexe Erkrankung, geprägt von Genetik, Neurobiologie, Essverhalten, Umwelt, Sozial- und Wirtschaftsfaktoren. Die Behandlung müsse personenzentriert und nicht-diskriminierend sein. Die WHO formuliert dazu zwei «Good Practice Statements»:

1. Adipositas braucht lebenslange Betreuung inklusive Screening, frühzeitiger Behandlung von Komorbiditäten sowie pharmakologischen und chirurgischen Optionen, wo indiziert.

2. Alle Betroffenen sollen kontextangemessene Beratung zu Lebensstil und Verhalten erhalten – auch als Einstieg in intensivere Programme, insbesondere wenn GLP-1-Medikamente verschrieben werden.
Priorisierung statt «first come, first served»
Die grössten Hürden betreffen nicht die Wirksamkeit, sondern die Implementierung, so die WHO: Selbst unter optimistischen Szenarien würde die derzeit absehbare Produktionskapazität GLP-1-Therapien für rund 100 Millionen Menschen ermöglichen – weniger als 10 Prozent der Betroffenen. Hohe Preise, limitierte Lieferketten, fehlende Erstattung und unvorbereitete Gesundheitssysteme sind zentrale Barrieren.

Weil Angebot und Systemkapazität absehbar nicht ausreichen, will die WHO bereits 2026 ein globales Priorisierungsframework vorlegen. Gleichzeitig sollen Kosten-Nutzen-Analysen für unterschiedliche Settings erstellt werden – sowohl für die allgemeine Adipositaspopulation als auch für definierte Hochrisikogruppen.

WHO-Leitlinie GLP-1-Therapien

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