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imageDr. Bastian Linder vom EMBL (links) und Prof. Dr. Sebastian Leidel von der Universität Bern (rechts). Bilder: zvg.

Wie gestörte Zellprozesse Krebs fördern

Forschende der Universitäten Bern und Stanford sowie des EMBL Heidelberg haben einen neuen Zellmechanismus entdeckt, der die Stabilität von mRNA in den Zellen kontrolliert. Wird dieser Mechanismus gestört, wachsen Tumore schneller. Diese Erkenntnisse eröffnen neue Ansätze für die Krebstherapie.

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Ein Team unter der Leitung von Prof. Dr. Sebastian Leidel vom Department für Chemie, Biochemie und Pharmazie der Universität Bern hat einen bisher unbekannten Mechanismus entdeckt, bei dem das Zusammenspiel zweier RNA-Modifizierungen während der Proteinproduktion den Abbau von mRNA kontrolliert. Die in der Fachzeitschrift Cell veröffentlichte Studie wurde in Zusammenarbeit mit Forschenden der Universität Stanford und dem European Molecular Biology Laboratory (EMBL) durchgeführt und durch den Nationalen Forschungsschwerpunkt NCCR RNA & Disease des Schweizerischen Nationalfonds unterstützt.
RNA-Veränderungen bei Krebs
Jede Zelle enthält Tausende von Proteinen, von denen jedes eine bestimmte Aufgabe in der Zelle erfüllt. Um ein Protein herzustellen, muss zunächst ein Gen in die sogenannte Boten-RNA (mRNA) übersetzt werden. Diese dient dann als Bauplan für die Produktion des Proteins durch Ribosomen, die «Proteinfabriken» in den Zellen.

So wurde beispielsweise die RNA (Ribonukleinsäure) in den mRNA-Impfstoffen, die die Coronapandemie beendet haben, chemisch verändert bzw. modifiziert – eine Strategie, die 2023 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet wurde. Solche Modifizierungen kommen aber auch natürlicherweise in der RNA vor und beeinflussen, wie stabil der «ProteinBauplan» ist.

Eine stabilere mRNA bedeutet, dass das Gen aktiver ist und mehr von einem bestimmten Protein produziert wird. RNA-Veränderungen wurden bei Krebs oder neurodegenerativen Erkrankungen immer wieder beobachtet. Dennoch war bislang unklar, wie dies mit dem Entstehen der Krankheiten zusammenhängt und konnte deshalb nicht für medizinische Behandlungen genutzt werden.
Eine unerwartete Funktion
Die häufigste Modifizierung von mRNA ist N6-Methyladenosin – kurz m6A – und wird in über 2’500 wissenschaftlichen Studien pro Jahr untersucht. Die wichtigste Funktion von m6A liegt darin zu kontrollieren, wie rasch mRNA abgebaut wird. Obwohl diese Rolle unstrittig war, war der zugrundeliegende Mechanismus unbekannt. Die Berner Forschenden fanden nun heraus, dass die Ribosomen, welche die Proteine produzieren, beim Lesen der mRNA über die m6A Veränderung «stolpern» und «zusammenstossen». Dadurch lösen Ribosomen den beschleunigten Abbau von mRNA aus.

«Wir können messen, wie schnell Ribosomen die mRNA ablesen, um Proteine zusammenzusetzen. Zu unserer Überraschung sahen wir, dass Ribosomen Schwierigkeiten haben, die m6A Modifizierung auf der mRNA zu lesen.» Prof. Dr. Sebastian Leidel, Hauptautor der Studie.

Spannend wurde es, als die Forschenden sogenannte Transfer RNAs (tRNA) in ihre Untersuchung einbezogen. tRNAs spielen eine wichtige Rolle bei der Übersetzung einer mRNA in ein Protein und sind selbst chemisch modifiziert. Es braucht eine bestimmte chemische Signatur auf der tRNA, um m6A lesen zu können. «Fehlt diese Signatur auf der tRNA, wird eine mRNA mit m6A sehr instabil und es kommt zu Ribosomenkollisionen», so Leidel in einer Medienmitteilung der Universität Bern.

Zellen nutzen also das Zusammenspiel einer mRNA-Modifizierung mit einer tRNA-Modifizierung, um sehr präzise einzustellen, wie schnell mRNA abgebaut wird. Dies ist wichtig, da sowohl zu viel als auch zu wenig Genaktivität zu Krankheit führen kann. Die Forschungsteams zeigten, dass insbesondere die mRNAs für wichtige Signalmoleküle, die bei der Krebsentstehung eine grosse Rolle spielen, stabilisiert werden. Auf diese Weise werden Signalproteine effizient produziert und tragen zur Ausbreitung der Krebszellen bei.

Ein neuer Ansatz für die Krebstherapie
Die neuen Erkenntnisse können dazu beitragen, neue Krebstherapien zu entwickeln. «Unsere Recherche in öffentlichen Datenbanken hat ergeben, dass in fast allen Krebsarten das Verhältnis dieser speziellen chemischen Signatur zu m6A gestört war. Je mehr die tRNAs im Verhältnis zur mRNA modifiziert waren, desto ungünstiger fielen die Prognosen für Patienten und Patientinnen aus», fasst Leidel zusammen. Dr. Bastian Linder vom EMBL und ein Erstautor der Studie, ergänzt: «Dieser völlig neue Weg der Genregulation eröffnet auch neue Möglichkeiten für die Behandlung von Krankheiten, die durch Veränderungen in der Aktivität von Genen verursacht werden, wie zum Beispiel Krebs».

Der Wert wissenschaftlicher Kooperation
«Unsere Studie ist ein hervorragendes Beispiel für die Bedeutung von Zusammenarbeit in der Wissenschaft», meint Leidel. «Unsere Kollaborationspartner konnten genau sagen, wo sich m6A in mRNA befinden, und wir konnten messen, wie schnell Ribosomen die mRNA an solchen Stellen ablesen. Wir hatten zwar unabhängig voneinander die gleiche Idee, konnten sie aber nicht testen. Erst als wir unsere Daten zusammenführten, entdeckten wir den neuen Mechanismus», so Leidel abschliessend.


Referenz:
  • Linder B, Sharma P, Wu J, Birbaumer T, Eggers C, Murakami S, Ott RE, Fenzl K, Vorgerd H, Erhard F, Jaffrey SR, Leidel SA, Steinmetz LM: «tRNA modifications tune m6A-dependent mRNA decay», in: «Cell». Epub ahead of print. PMID: 40311619
  • DOI: 10.1016/j.cell.2025.04.013


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