Christian Leumann, im Frühjahr 2024 befand sich die Insel Gruppe in finanzieller Schieflage und war mit Führungsproblemen und Mobbing-Vorwürfen konfrontiert. Dann hat der Verwaltungsrat Sie gefragt, ob Sie Teil der Lösung des Problems werden wollten. Wie lange war Ihre Bedenkzeit?
Ich weiss es nicht mehr genau, aber die Tage liessen sich an einer Hand abzählen.
Sie waren damals Rektor an der Universität Bern und sollten im Juli 2024 emeritiert werden. Warum haben Sie die Aufgabe angenommen?
Als Rektor war ich bereits seit 2016 Mitglied des Verwaltungsrats und kannte damit die Insel Gruppe gut. Ausserdem war es mir wichtig mitzuhelfen, das Unternehmen aus der Krise zu führen. Schon als Rektor der Universität habe ich mich für Bern als starken Medizinal- und Innovationsstandort eingesetzt. Wir hatten zahlreiche Forschungszentren aufgebaut und in die Ausbildung von zusätzlichen Mediziner:innen und Pharmazeut:innen investiert. Ohne eine starke Insel Gruppe geht das nicht. Ich wollte alles daransetzen, dass Bern auch in Zukunft Standort eines der führenden Universitätsspitäler bleibt.
Was hat Ihre Frau dazu gesagt, dass Sie sich nicht pensionieren liessen?
Wir hatten in der Tat schon andere Pläne geschmiedet. Wir wollten soziale Kontakte pflegen, mehr zusammen unternehmen und auch Zeit für uns selber haben. Diese Pläne haben wir aufgeschoben. Meiner Frau, die beruflich auch eingespannt ist, bin ich sehr dankbar, dass sie dies mitgetragen hat.
«Ich wusste, dass es hart würde und wir die finanzielle Situation in den Griff bekommen mussten.»
Wie haben Sie die ersten Monate in der neuen Rolle erlebt?
In den ersten drei Monaten führten Bernhard Pulver und ich das Unternehmen in einer Co-Leitung. In der Folge konzentrierte ich mich vollständig auf das operative Geschäft und Bernhard Pulver auf das Verwaltungsratspräsidium. Ich wusste, dass es hart würde und wir die finanzielle Situation in den Griff bekommen mussten. Ausserdem spürte ich im Betrieb auf allen Ebenen grosses Misstrauen und Frustration, nicht zuletzt auch wegen der Turbulenzen der letzten Jahre. Wir haben neue Gebäude bezogen und ein neues Klinikinformations- und steuerungssystem eingeführt, welches in einzigartiger Weise geeignet ist, die zukünftige universitäre Medizin zu unterstützen. Doch für die Mitarbeitenden war dies eine riesige Herausforderung. Dazu kam auch noch die konstant negative Presse, die auf die Moral der Mitarbeitenden drückte. Es war eine rundum verkorkste Situation.
Was haben Sie konkret getan, um die Situation zu verbessern?
Es ging vor allem darum, das Vertrauen der Ärzteschaft und des Pflegepersonals in die Führung wieder herzustellen. Wir haben die Betroffenen vermehrt in neue Abläufe, Gremien und Entscheide eingebunden. Konkret haben wir das Kollegium der Chefärztinnen und Chefärzte gegründet, das die Ärzteschaft direkt in strategische Entscheidungen einbindet. Es war wichtig, die Mitarbeitenden regelmässig zu informieren und offen über Mobbing und Compliance-Themen zu sprechen. Wir haben in den letzten 18 Monaten einen Riesenschritt nach vorne gemacht, und den Insel-Spirit, der etwas verstaubt war, zu neuem Leben erweckt.
Die Insel Gruppe schreibt wieder schwarze Zahlen. Wie ist es gelungen, die finanzielle Lage zu stabilisieren?
Wir haben einschneidende Massnahmen umgesetzt und die Personalkosten in Jahresfrist um fünf Prozent gesenkt. Gleichzeitig haben wir unsere Effizienz erhöht und mehr Patient:innen betreut. Die Leistung der Mitarbeitenden war enorm. Dank Ihnen sind wir heute wieder gut aufgestellt und können zuversichtlich in die Zukunft blicken.
Sehen Sie sich als Retter der Insel Gruppe?
Nein, die Rettung kommt nie von oben. Die Mitarbeitenden haben die Wende geschafft – mit ihrer Bereitschaft, in dieser schwierigen Zeit mitzugehen und die Veränderungen mitzutragen.
Können Ihre Nachfolgerin Jennifer Diedler und der neue Verwaltungsratspräsident Adrian Schmitter nun zurücklehnen?
Keinesfalls. Die Insel Gruppe hat wieder stabilen Boden unter den Füssen, sie muss aber noch einige Hausaufgaben lösen.
Zum Beispiel?
Wir haben nach wie vor hohe Schulden und müssen unsere Profitabilität auf ein Niveau bringen, das uns nachhaltige finanzielle Unabhängigkeit sichert. Die Insel Gruppe darf nicht unter irgendwelche Rettungsschirme geraten, sonst riskiert sie ihren Status als Universitätsspital. Im Sommer haben wir die Strategie für die nächsten zehn Jahre verabschiedet. Wir wollen unsere Arbeit konsequent auf die Patientenpfade ausrichten. Die Patient:innen sollen im Vordergrund stehen, nicht die einzelnen Kliniken. Das ist nicht nur ein Change, sondern ein Transformationsprozess und braucht deshalb sehr viel Management Attention.
«Wir haben nach wie vor hohe Schulden und müssen unsere Profitabilität auf ein Niveau bringen, das uns nachhaltige finanzielle Unabhängigkeit sichert.»
Was merken die Patient:innen von der Entwicklung an der Insel Gruppe?
Sie erhalten die Möglichkeit, sich viel mehr mit ihrer Krankheits- respektive Gesundheitssituation auseinanderzusetzen. Auf der App myInsel können Sie bereits heute Termine selber verwalten und jederzeit auf ihre Gesundheitsdaten zugreifen. Alle berechtigten Fachpersonen sehen jederzeit die vollständige Patientenakte, unabhängig davon, wo sie sich befinden. Das erhöht die Sicherheit und Qualität der Behandlung. Die digitale Transformation birgt immense Chancen, unter anderem bei der Prävention, Diagnostik und Therapie. Wir bewegen uns weg von der reinen Reparaturmedizin und hin zur Gesundheitsmedizin. Das heisst zum Beispiel, dass die Menschen immer mehr gezielte Hinweise erhalten werden, was sie tun können, um länger gesund zu bleiben.
Schmerzt es Sie, dass Sie bei dieser Entwicklung nicht mehr an vorderster Front mitwirken können?
Ich bin nicht angetreten, um lange zu bleiben. Es ist gut so, wie es ist. Aber natürlich tut es etwas weh, dass ich die Insel Gruppe zu einem Zeitpunkt verlasse, da es im Hinblick auf die Entwicklung der Medizin besonders spannend wird.
An welche Momente in den letzten 18 Monaten werden Sie sich besonders gerne zurückerinnern?
Ich habe im letzten August am Inselfest teilgenommen und dabei in Gesprächen und Begegnungen mit den Mitarbeitenden erleben dürfen, wie der Insel-Spirit zu neuem Leben erwacht ist. Das hat mich zutiefst beeindruckt. Und zuletzt durfte ich bei meiner Verabschiedung am letzten Townhall Meeting eine Standing Ovation des Personals entgegennehmen. Das hat mich sehr berührt.
Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus?
Ich möchte die verschobenen Pläne verwirklichen. Ich muss manuelle mit intellektueller Arbeit verbinden können, um wohl zu sein. Das ist übrigens mit ein Grund, weshalb ich Chemiker geworden bin. Die handwerkliche Tätigkeit hat in den letzten zehn Jahren gelitten, weshalb es sowohl zu Hause als auch in unserem Ferienhaus noch einiges zu tun gibt. Ausserdem übernehme ich im Januar das Verwaltungspräsidium von Sitem-Insel und bleibe damit mit den Themen Innovation und Forschung in der Medizin verbunden. Darauf freue ich mich sehr.