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Bundesgericht: Für den Beweis einer rückzahlungspflichtigen Überarztung braucht es neben dem Screening eine zusätzliche Einzelprüfung

Das Bundesgericht (Bild) stellt im Urteil 9C_135/222 fest: Die Prüfung von Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit (WZW) von ärztlichen Leistungen durch die Krankenkassen muss das tarifpartnerschaftlich vereinbarte Screening und, bei einem auffälligen Ergebnis, eine anschliessende Einzelfallprüfung der betroffenen Arztpraxis umfassen. Fehlt die Einzelfallprüfung, ist der Beweis einer rückzahlungspflichtigen Überarztung nicht möglich.

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Das ist der Fall vor Bundesgericht Dr. med. A.B. ist Facharzt für Allgemeine Innere Medizin FMH im Kanton Bern. Er verfügt über eine Bewilligung zur Selbstdispensation. Am 8. Juli 2019 führten verschiedene Krankenversicherer, vertreten durch den Branchenverband Santésuisse, beim Schiedsgericht in Sozialversicherungsstreitigkeiten des Kantons Bern Klage gegen Dr. med. A.B. Sie beantragten, der Beklagte sei wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise zu verpflichten, für das Jahr 2017 eine Rückzahlung von 336 368 Franken gemäss dem Regressions-Index oder von 790 761 Franken gemäss dem ANOVA-Index zu leisten.
Das Schiedsgericht vereinigte das Klageverfahren betreffend das Jahr 2017 mit einem hängigen Rückforderungsverfahren für die Jahre 2013 bis 2015. Am 2. Dezember 2017 hatte es Dr. med. A.B. betreffend diesen Zeitraum zur Rückerstattung von 2 872 696,55 Franken verpflichtet. Auf Beschwerde des Betroffenen hin hatte das Bundesgericht die Sache am 20. Dezember 2018 zur neuen Beurteilung an das Schiedsgericht zurückgewiesen (Urteil 9C_67/2018). Anlässlich einer Einigungsverhandlung vom 18. Juni 2020 verständigten sich die Parteien darauf, dass der Beklagte den Krankenversicherern für die Jahre 2013 bis 2015 per Saldo aller Ansprüche einen Betrag von 500 000 Franken zahlt. Hinsichtlich des Jahres 2017 wurde keine Einigung erzielt. Das Schiedsgericht schrieb das Klageverfahren betreffend die Jahre 2013 bis 2015 als erledigt ab und führte es betreffend das Jahr 2017 weiter: Das kantonale Schiedsgericht hiess dann die Klage gut und verurteilte den Beklagten, den Klägern für das Jahr 2017 den Betrag von 266 998,40 Franken zurückzuerstatten (Urteil vom 18. Januar 2022).
Dr. med. A.B. führt dann Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit den Anträgen, der schiedsgerichtliche Entscheid vom 18. Januar 2022 sei aufzuheben und die Klage abzuweisen. Eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen und diese anzuweisen, zur Überprüfung der behaupteten Überarztung die analytische Methode anzuwenden, das heisst, nach dem Screening eine systematische Einzelfallprüfung durchzuführen. Schlussfolgerungen des Bundesgerichts Nach seitenlangen Erwägungen schreibt das Bundesgericht: «Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass sich die Wirtschaftlichkeitsprüfung nach der tarifpartnerschaftlich vereinbarten Screening-Methode stets aus einer Regressionsanalyse, dem Screening, und, bei auffälligem Resultat, einer anschliessenden Einzelfallprüfung zusammensetzt. Die Einzelfallprüfung deckt sich nicht mit der herkömmlichen analytischen Methode. Denn ein auffälliges Ergebnis der Regressionsanalyse bedeutet keine Feststellung von Unwirtschaftlichkeit: Insoweit handelt es sich beim Screening mit auffälligen Resultat nicht um eine ‘Beweismethode für Überarztung’.
Praxistypologische Merkmale wie die Selbstdispensation sind auf Stufe der Einzelfallprüfung zu berücksichtigen, wenn sie nicht als Screening-Faktor implementiert werden können. Praxisbesonderheiten, die sich auf Eigenschaften des Patientenkollektivs beziehen, kann gestützt auf Patientendossiers oder Statistiken Rechnung getragen werden, soweit sie nicht schon im Rahmen der Regressionsanalyse standardisiert worden sind. Da im vorliegenden Fall eine Einzelfallprüfung unterblieben ist, sind die vorinstanzlichen Entscheidungsgrundlagen unvollständig.» Das Urteil des Bundesgerichts
  • Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Das Urteil des Schiedsgerichts in Sozialversicherungsstreitigkeiten des Kantons Bern vom 18. Januar 2022 wird aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an dieses zurückgewiesen.
  • Die Gerichtskosten von Fr. 8000.- werden den Krankenkassen auferlegt.
  • Die Krankenkassen haben Dr. med. A.B. für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 6000.- zu entschädigen.PS

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