Von Menschen umgeben zu sein, heisst nicht automatisch, sich sozial integriert zu fühlen. Ein Team der
Universität Genf (UNIGE) hat herausgefunden, dass die Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen sozialen Netzwerk und dem emotionalen Empfinden eine Schlüsselrolle bei der kognitiven Alterung spielt.
Die in «Communications Psychology» veröffentlichte
Studie zeigt, dass Hörverlust besonders schädlich für das Gedächtnis von älteren Menschen ist, die sich einsam fühlen – selbst wenn sie nicht objektiv isoliert sind.
Wer sich einsam fühlt, leidet am meisten
Das Team hat Daten von über 33'000 Personen im Alter von 50 Jahren und älter aus der
SHARE-Studie (Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe) ausgewertet.
Es wurden drei soziale Profile identifiziert:
- Personen, die isoliert sind und sich einsam fühlen,
- Personen, die nicht isoliert sind, sich aber einsam fühlen,
- Personen, die isoliert sind, sich aber nicht einsam fühlen.
In der zweiten Gruppe, den «Einsamen in der Menge», ist der negative Einfluss von Hörverlust auf das Gedächtnis am stärksten ausgeprägt. Den Wissenschaftlern zufolge wirkt die wahrgenommene Einsamkeit also wie ein Verstärker des kognitiven Verfalls bei Hörgeschädigten.
«Diese Menschen sind bereits integriert. Es geht also darum, ein sensorisches Hindernis zu beseitigen, damit sie sich stärker einbringen können und ihre kognitive Gesundheit erhalten bleibt.» Charikleia Lampraki, UNIGE.
Bei hörgeschädigten Personen, die sich einsam fühlten, war der Rückgang signifikant schneller als bei den anderen. Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung eines präventiven Ansatzes, der sowohl die Hörgesundheit als auch das emotionale Wohlbefinden berücksichtigt. Das Team plädiert für eine frühzeitige Behandlung des Hörverlusts, insbesondere bei älteren Menschen, die über Einsamkeit klagen, auch wenn sie in Gesellschaft leben.
Denn eine einfache Hörkorrektur könnte es ihnen ermöglichen, wieder mit ihrem sozialen Umfeld in Kontakt zu treten, ihr Gefühl der Zugehörigkeit zu stärken und so ihre kognitiven Fähigkeiten zu erhalten. In diesen Fällen dient ein Hörgerät nicht nur dazu, besser zu hören, sondern auch besser zu leben – und möglicherweise den Eintritt in die Pflegebedürftigkeit zu verlangsamen.
Eine Frage der öffentlichen Gesundheit
Laut
WHO werden bis zum Jahr 2050 2,5 Milliarden Menschen von Hörverlust betroffen sein. Bereits heute leidet mehr als ein Viertel der über 60-Jährigen an einer behindernden Hörstörung. Doch diese Störungen werden noch immer unterdiagnostiziert - und selten behandelt.