Insektenlarven helfen Darmentzündungen besser zu verstehen und ermöglichen die schnellere und effizientere Entwicklung neuer Therapien.
Fraunhofer IME8.12.20222"
Insekten wie der Tabakschwärmer – eine Falterart aus Amerika, die als Schädling bekämpft wird – können an den gleichen oder ähnlichen Erkrankungen leiden wie der Mensch. Etwa 75 Prozent der Gene, die eine Erkrankung bei Menschen auslösen können, sind auch bei Insekten vorhanden. Die Larven des Tabakschwärmers können daher als Modellorganismus für menschliche Erkrankungen genutzt werden. So können Erkrankungen besser verstanden sowie neue Therapien und Diagnosemethoden entwickelt werden.
Tabakschwärmer
Im Vergleich zu traditionellen Labortieren wie Ratten oder Mäusen bieten Insekten wie der Tabakschwärmer jedoch mehrere Vorteile: Ihr Einsatz in der Forschung ist schneller und kosteneffizienter als Tierversuche mit Säugetieren und mit weniger Belastungen für die Tiere verbunden.
Schnellere Untersuchung, Tiere leben unversehrt weiter
In der Fachzeitschrift »Nature Communications« berichtet ein internationales Wissenschaftlerteam um den Giessener Forscher Dr. Anton Windfelder vom Giessener Institutsteil Bioressourcen des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME über seine Entdeckung: Die Raupen des Tabakschwärmers können genutzt werden, um chronisch entzündliche Darmerkrankungen zu erforschen und neue dringend benötigte Therapien zu entwickeln und zu testen. Die Methode bietet zudem den Vorteil: Viele Tiere können in kurzer Zeit untersucht werden. In der Computertomographie lassen sich bis zu 100 Tiere in wenigen Sekunden untersuchen. Im Unterschied zu traditionellen molekularbiologischen oder histologischen Methoden überstehen die Tiere die Narkose und Bildgebung sehr gut und leben danach unversehrt weiter.
Von Nutzen bei CED
»Entzündungen des Magen-Darmtrakts gehören zu den häufigsten Erkrankungen weltweit und chronisch entzündliche Darmerkrankungen wie beispielsweise Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa sind global auf dem Vormarsch«, so Dr. Windfelder. «Das Immunsystem des Darms und die Struktur des Darmepithels der Tabakschwärmerlarven sind mit denen von Säugetieren vergleichbar. Im Unterschied zu anderen Insekten wie etwa der Taufliege Drosophila sind die Raupen des Tabakschwärmers jedoch gross genug für die medizinische Bildgebung.»
Bildgebungsplattform
Gemeinsam mit nationalen und internationalen Partnern aus Düsseldorf und New York haben die Giessener Forscher für Larven des Tabakschwärmers eine innovative und einzigartige Bildgebungsplattform entwickelt. «Wir nutzen bildgebende Verfahren aus der Radiologie und Nuklearmedizin und können mittels
Computer-tomographie (CT),
Magnetresonanztomographie (MRT) und
Positronen-Emissions-Tomografie (PET)
eine Entzündung im Darm der Tiere zielgenau diagnostizieren», so die ebenfalls an der Studie beteiligte Medizinerin Prof. Dr. Gabriele Krombach. Die Darmentzündung der Insektenlarven wird in Analogie zu einer Darmentzündung beim Menschen mit Kontrastmitteln und speziellen Markern wie FDG (18F-Desoxy-glukose) diagnostiziert. Medikamente wie beispielsweise Cortison, die bei akuten Schüben von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen eingesetzt werden, zeigen auch bei den Larven des Tabakschwärmers eine deutliche Reduzierung der Entzündung.
Erfolgreiche Alternative in der präklinischen Forschung
Mit der Publikation macht das Team auf die erfolgreiche alternative Verwendung von Insekten wie dem Tabakschwärmer in der frühen präklinischen Forschung aufmerksam. «Natürlich können Insekten Mäuse und Ratten nicht vollständig ersetzen», ergänzt der ebenfalls an der Studie beteilige Zoologe Prof. Dr. Andreas Vilcinskas. «Erkenntnisse aus der Zellkultur lassen sich oft nicht im lebenden Tier reproduzieren. Genau hier könnten Versuche mit Insekten wie dem Tabakschwärmer weiterhelfen, um vielversprechende neue Wirkstoffe und Therapien auszuwählen, die dann in traditionellen Modellen weiter evaluiert werden.» Die Forschung würde dadurch erheblich beschleunigt und wäre kostengünstiger.PS