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imageFür viele Paare ist der Kinderwunsch ein langer Weg – besonders im fortgeschrittenen Alter. Bild: Unsplash.

Später Kinderwunsch: Pflegefachkräfte berichten über ethische Spannungsfelder

Immer mehr Menschen versuchen auch im höheren Alter, mithilfe medizinisch unterstützter Fortpflanzung (MUF) Kinder zu bekommen. Für Fachpersonen im Gesundheitswesen bringt dies nicht nur organisatorische Herausforderungen, sondern auch moralische Dilemmata mit sich, wie eine Schweizer Studie belegt.

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Ein Forschungsteam um Andrea Martani vom Institut für Biomedizinische Ethik der Universität Basel hat eine Interviewstudie durchgeführt. Untersucht wurden die Erfahrungen von Pflege- und Betreuungspersonal in der Schweiz, das ältere Patientinnen und Patienten bei reproduktionsmedizinischen Behandlungen begleitet.

Die Ergebnisse wurden in «Ethik in der Medizin» publiziert.
«Das ist unser Alltag» – Reproduktionsmedizin bei älteren Menschen
Das Thema ist hochaktuell: Immer mehr Menschen entscheiden sich erst spät im Leben für ein Kind – sei es aus beruflichen, sozialen oder persönlichen Gründen. In der Folge nehmen auch Anfragen an reproduktionsmedizinische Zentren durch Menschen im fortgeschrittenen elterlichen Alter (FE) zu. Was dies konkret für Fachpersonen bedeutet, wurde bisher jedoch kaum erforscht.

In der nun publizierten Studie wurden 15 Fachkräfte aus der Schweiz qualitativ befragt. Sie alle arbeiten mit älteren Personen, die sich mit MUF ihren Kinderwunsch erfüllen möchten. Diese «ältere» Patientengruppe umfasst nach Aussage der Befragten hauptsächlich Personen im Alter zwischen 40 und 45 Jahren. Personen über 45, insbesondere Frauen, werden hingegen als «ungewöhnlich» wahrgenommen.

Die Interviews wurden auf Grundlage eines halbstrukturierten Leitfadens geführt und mithilfe thematischer Analyse ausgewertet.
Want-it-all attitude als Herausforderung
Ein zentrales Ergebnis der Studie betrifft die Wahrnehmung dieser Patientengruppe als besonders fordernd. Mehrere Befragte schilderten, dass ältere Patientinnen und Patienten mit hohen Erwartungen, einem ausgeprägten Informationsbedürfnis und starker emotionaler Involviertheit auftreten.


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Quelle: Martani, A., Neeser, N.B., Verghote, K. et al. «It is our everyday life». A Swiss interview-based study on care professionals’ experiences in assisting older patients to conceive with medically assisted reproduction. Ethik Med (2025).

Dies erfordere nicht nur viel Geduld, sondern auch eine ständige Anpassung in der Kommunikation und Betreuung. Besonders ausgeprägt zeigte sich laut den Fachpersonen bei manchen Personen eine sogenannte «want-it-all attitude» – also die Haltung, alles haben zu wollen: ein gesundes Kind, sofortige Ergebnisse, umfassende Betreuung, möglichst ohne Einschränkungen.
Empathie trifft auf realistische Beratung
Diese Erwartungshaltung kann zu Spannungen führen, insbesondere wenn medizinische Einschätzungen und ethische Verantwortung mit unrealistischen Hoffnungen kollidieren.

Einige Fachkräfte beschrieben zudem Drucksituationen, in denen Patientinnen oder Patienten deutlich machten, dass sie bereit seien, «alles zu versuchen» – selbst wenn die Erfolgschancen minimal sind. In solchen Momenten geraten medizinisch-ethische Grenzen und der Wunsch nach empathischer Begleitung besonders deutlich aneinander.
Wer entscheidet, wer Eltern werden darf?
Eine weitere Frage, die sich im Studienmaterial herauskristallisiert: Wie beurteilen Fachkräfte, ob jemand im höheren Alter «geeignet» ist, Mutter oder Vater zu werden? Die Einschätzungen der Befragten schwankten zwischen professioneller Zurückhaltung und persönlichem Unbehagen. Klare Richtlinien fehlen bisher – was Unsicherheit erzeugt.

Dies bringe Fachpersonen in eine ethisch heikle Lage: Sie sind medizinisch ausgebildet, geraten aber in die Rolle von Moralgutachterinnen und Moralgutachtern. Solche Bewertungen können schnell paternalistisch oder diskriminierend wirken, so die Autorinnen und Autoren.

Die Studie macht deutlich, dass Fachpersonen in der Reproduktionsmedizin nicht nur medizinisch, sondern auch kommunikativ und ethisch stark gefordert sind. Die Forschenden sprechen sich für eine breitere gesellschaftliche Diskussion sowie für die Entwicklung spezifischer Leitlinien im Umgang mit dieser Patientengruppe aus.

Zur Originalpublikation:

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