Was, wenn unser Gehirn unseren Körper auf die Abwehr von Viren vorbereiten könnte, noch bevor wir mit diesen in Kontakt kommen? Eine gemeinsame
Studie des Universitätsspitals Lausanne (CHUV) und der Universität Genf (UNIGE) zeigt, dass dies möglich ist.
Das Team unter der Leitung von Andrea Serino und Camilla Jandus konnte zeigen,
dass eine rein virtuelle Infektionsgefahr eine Immunreaktion auslöst. Diese sei mit der Reaktion des Immunsystems auf eine tatsächlichen Infektion vergleichbar, heisst es in einer
Mitteilung.
Immunantwort vergleichbar mit Impfung
Rund 250 Freiwillige nahmen an der Studie teil. In einer virtuellen Umgebung sahen sie menschliche Avatare auf sich zukommen, von denen einige sichtbare Anzeichen einer Infektion (Rötungen, Hautausschläge) aufwiesen, während andere neutrale oder verängstigte Gesichter hatten. Während 15 Minuten wurde ihre Gehirnaktivität mittels EEG und MRT aufgezeichnet. Parallel dazu wurden Blutuntersuchungen durchgeführt.
Das Ergebnis: Allein die Wahrnehmung eines kranken Gesichts aktivierte Gehirnbereiche, die mit der Erkennung von Bedrohungen und der Regulierung der Immunität in Verbindung stehen. Im Blut der Teilnehmenden wurden Biomarker gefunden, die typisch für eine Immunantwort auf eine echte Infektion sind.
Zum Vergleich erhielt eine weitere Gruppe eine Grippeimpfung. Die Forschenden stellten auffällige Ähnlichkeiten bei mehreren Biomarkern zwischen den geimpften Teilnehmern und denen fest, die der virtuellen Bedrohung ausgesetzt waren. Diese Entdeckung offenbart einen bisher unbekannten Dialog zwischen Gehirn und Immunsystem: eine Abwehrreaktion, die nicht durch einen Krankheitserreger ausgelöst wird, sondern durch die Antizipation einer Gefahr im Gehirn.
Neuer Therapieansatz?
Die Autorinnen und Autoren weisen darauf hin, dass es sich um eine explorative Studie handelt, die sich auf junge Erwachsene beschränkt, was die Aussagekraft der Ergebnisse einschränkt. Der Vergleich wurde nur mit einem einzigen Grippeimpfstoff durchgeführt. Es ist auch nicht bekannt, ob statische Bilder die gleichen immunologischen Effekte hervorrufen würden wie die hier verwendeten dynamischen visuellen Reize.
Die virtuelle Realität könnte zu einem neuen therapeutischen Instrument werden, das ohne physischen Kontakt mit einem Krankheitserreger auf unsere Gesundheit einwirken kann.
Trotz dieser Einschränkungen sind die Wissenschaftler der Meinung, dass diese Ergebnisse Anwendungen in der Modulation von Immunreaktionen finden könnten: zur Stärkung der Wirksamkeit bestimmter Impfstoffe, zur Abschwächung allergischer Reaktionen oder zum besseren Verständnis von Placebo-Effekten und psychosomatischen Störungen.
Die virtuelle Realität könnte somit zu einem neuen therapeutischen Instrument werden, das ohne physischen Kontakt mit einem Krankheitserreger auf unsere Gesundheit einwirken kann.