Dass schwere Überfunktionen der Schilddrüse zu Störungen des Herzrhythmus und dadurch zum plötzlichen Herztod führen können, weiss man seit mehr als 200 Jahren. Welches Risiko mit nur leichten Über- oder Unterfunktionen einhergeht, war aber bisher unklar.
RUB26.10.20222"
Manifeste Funktionsstörungen der Schilddrüse gelten als etablierte Risikofaktoren für schwere Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems. Allerdings blieb die Situation bei leichten Funktionsstörungen der Schilddrüse bislang unklar. «Während in einigen Studien bereits minimale Erhöhungen von Schilddrüsenhormonen, selbst normale Konzentrationen innerhalb des Referenzbereichs für Gesunde, mit einem erhöhten Risiko für den plötzlichen Herztod einhergingen, konnten andere Studien keinen eindeutigen Zusammenhang finden», erläutert Johannes Dietrich von der Medizinischen Klinik im St. Josef-Hospital, Klinikum der Ruhr-Universität Bochum (RUB). Es war daher umstritten, wie man mit frühen Über- und Unterfunktionen der Schilddrüse – latenten Hyper- und Hypothyreosen – umgehen sollte.
Metaanalyse: 32 Studien, 1,3 Millionen Teilnehmer
Um mehr Überblick zu gewinnen, erstellte das internationale Team* eine systematische Übersichtsarbeit über 32 Studien mit 1,3 Millionen Teilnehmenden zu diesem Thema. In einer zusammengefassten statistischen Beurteilung mit nachgeschalteter Meta-Analyse fanden die Forschenden heraus, dass sowohl latente Hypothyreosen als auch latente Hyperthyreosen das Risiko für einen Herztod voraussagen. Darüber hinaus standen die Konzentrationen des freien Schilddrüsenhormons T4 (FT4) mit der Wahrscheinlichkeit für einen Herztod und andere kardiovaskuläre Ereignisse in Zusammenhang.
Zwei verschiedene Muster
«Die Ergebnisse sprechen für ein mit der FT4-Konzentration kontinuierlich ansteigendes Herz-Kreislauf-Risiko, aber für einen komplexen U-förmigen Zusammenhang mit der Konzentration des Steuerhormons TSH», erklärt Johannes Dietrich. Dieser Konstellation liegen wahrscheinlich zwei unterschiedliche Muster der schilddrüsenvermittelten Herzrhythmusstörung zugrunde.
Bei einer Form (dyshomöostatischer Typ) liegt eine Erkrankung der Schilddrüse vor, die direkt zu einer hohen Schilddrüsenhormon-Konzentration führt und darüber das Herz-Kreislauf-Risiko erhöht.
Bei der anderen Form (allostatischer Typ) wird durch genetische Faktoren, chronischen Stress und psychische Belastung der Sollwert des Regelkreises zwischen Hirnanhangsdrüse und Schilddrüse erhöht, sodass über die damit indirekt erhöhte FT4-Konzentration ebenfalls Rhythmusstörungen begünstigt werden.
«Die Ergebnisse der Studie könnten einen Weg zu einer personalisierten Präventionsstrategie für kardiovaskuläre Erkrankungen weisen», so die Autoren. «Darüber hinaus könnte die Schilddrüsenfunktion bei bereits bestehender Herzrhythmusstörung künftig als Biomarker für den jeweiligen Entstehungsmechanismus dienen und helfen, eine individuell optimierte medikamentöse Therapie auszuwählen.»
*Für die Arbeit kooperierten die Herz- und Hormonforscher der RUB mit dem Tan Tock Seng Hospital, der Lee Kong Chian School of Medicine und der Duke-NUS Medical School in Singapur.