Die Zusammensetzung von Blutspuren verändert sich im Laufe von Wochen und Monaten. Diesen Fakt will die Rechtsmedizin in Zukunft nutzen, um Verdächtige zu überführen − oder zu entlasten.
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Knapp ein Jahr lang lag das blutige Papier auf einer Dachterrasse, vor Regen geschützt, aber ansonsten Wind und Wetter ausgesetzt. Zum Glück handelte es sich dabei nicht um Indizien eines Gewaltverbrechens, nein, die Bluttropfen waren Teil eines vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierten Projekts: Mit dem Langzeitversuch wollen Forscher eine forensische Methode entwickeln, um zuverlässig das Alter einer Spur zu bestimmen.
Dies ist vor allem wichtig, wenn Blut, Speichel oder Samenflüssigkeit erst Wochen oder Monate nach einer Tat gefunden werden. Dann genügt es oft nicht, die Körperflüssigkeit einer bestimmten Person zuzuordnen – etwa durch DNA-Analyse. Entscheidend ist dann, auch zu belegen, dass die Spur tatsächlich zum Zeitpunkt der Tat entstanden ist, und nicht in Situationen davor oder danach, die nichts mit dem Verbrechen zu tun haben. «Für eine solche Altersbestimmung gibt es im Moment noch keine routinemässige Methode», erklärt Andrea Steuer, Bereichsleiterin am Zentrum für Forensische Pharmakologie & Toxikologie am Institut für Rechtsmedizin der Universität Zürich.
Wann entstand der Blutfleck?
Ihr Team untersuchte deshalb, ob die Zusammensetzung eines Blutflecks – etwa am Boden oder auf Kleidungsstücken von verdächtigen Personen – verraten könnte, wann dieser hinterlassen wurde. Denn ausserhalb der geschützten Umgebung des Körpers setzen biochemische Prozesse ein: Einige Inhaltsstoffe des Blutes werden zersetzt oder modifiziert, neue Stoffe reichern sich als Abbauprodukte an. Daraus lässt sich möglicherweise ableiten, wie alt das Indiz ist.
Für ihre Studie betrachteten die Forscher zwei verschiedene Situationen:
Sie tropften Blutproben von elf Personen auf saugfähiges Papier und lagerten diese entweder bei relativ konstanten Umweltbedingungen in einer Schublade im Labor
oder unter einem Tisch auf dem Dach des Instituts für Rechtmedizin – ausser Regen allen Witterungseinflüssen wie Wind, UV-Strahlung und Temperaturschwankungen ausgesetzt.
Im Verlauf von 48 Wochen entnahmen sie zu neun verschiedenen Zeitpunkten Proben und analysierten diese mit dem Massenspektrometer – einem Gerät, das die im Blut enthaltenen Stoffe anhand von Grösse und chemischen Eigenschaften auftrennt.
Insgesamt fanden sie so über 10 000 verschiedene Substanzen in den Blutproben. «Zum grössten Teil wissen wir gar nicht, um was es sich dabei handelt», so Steuer. Das spielt aber keine Rolle: Den Forschenden ging es zunächst darum, aus der riesigen Datenmenge diejenigen Stoffe herauszufischen, deren Menge sich im Laufe der Zeit messbar änderte. «Diese möglichen Kandidaten für die Altersbestimmung können wir dann genauer charakterisieren», so Steuer.
Nadel im Heuhaufen gefunden
Durch komplexe statistische Analysen gelang es ihrem Team tatsächlich, einige geeignete Substanzen zu identifizieren. Mit am vielversprechendsten ist Phenylalanylalanin, ein kleines Molekül, das möglicherweise beim Abbau von im Blut enthaltenen Eiweissen entsteht. Phenylalanylalanin war in den Blutproben zu Beginn nur in sehr geringen Mengen vorhanden, nahm dann aber im Lauf der Zeit bis fast zum Ende des Experiments kontinuierlich zu.
Ob sich aus dieser Beobachtung eine forensische Testmethode entwickeln lässt, ist aber noch offen: So muss beispielsweise der Einfluss von verschiedenen Umweltfaktoren wie Luftfeuchtigkeit und Temperatur auf die Menge von Phenylalanylalanin einzeln getestet werden. Zudem ist auch wichtig abzusichern, dass es dabei zwischen dem Blut von verschiedenen Personen keine grossen Unterschiede gibt. «Je mehr man sich damit beschäftigt, desto komplexer wird es», sagt Steuer.
Mittlerweile untersucht das Team mit dem gleichen Ansatz auch Spuren von Speichel, Samenflüssigkeit und Urin. Allerdings lagern die Proben dafür nur im Labor und nicht auf dem Dach. «Im Freien sind die Unsicherheiten durch die extremen Umweltbedingungen einfach zu gross», so Steuer. «Aber auch wenn die Methode nur in Innenräumen funktioniert, wäre das schon ein riesiger Fortschritt.»PS