Bereits in sehr frühen Stadien altersbedingter Blutstammzellmutationen kommt es zu tiefgreifenden Umbauprozessen im Knochenmark. Das zeigt ein Team um Borhane Guezguez von der Universitätsmedizin Mainz und Judith Zaugg vom European Molecular Biology Laboratory Heidelberg und der Universität Basel in «Nature Communications».
Im Zentrum ihrer
Studie steht eine Gruppe entzündlicher Bindegewebsstammzellen, die gesunde Stromazellen verdrängen und grosse Mengen Signalmoleküle freisetzen. Diese locken
Interferon-responsive T-Zellen an, die die Entzündung weiter verstärken.
Das Ergebnis: ein selbstverstärkender Kreislauf, der das hämatopoetische Gleichgewicht verschiebt und die Entstehung von Blutkrebserkrankungen begünstigen kann.
Entzündliche Stromazellen
CHIP (clonal hematopoiesis of indeterminate potential) betrifft bis zu 20 Prozent der über 60-Jährigen und erhöht das Leukämierisiko deutlich. Auch myelodysplastische Syndrome (MDS), die häufig im höheren Alter auftreten, können in bis zu 30 Prozent der Fälle in eine akute myeloische Leukämie übergehen.
Um zu verstehen, was im Knochenmark dieser Betroffenen passiert, analysierten die Forschenden die Mikroumgebung des Knochenmarks von Probandinnen und Probanden mit speziellen genetischen Veränderungen in den blutbildenden Stammzellen.
«Unsere Untersuchungen zeigen, dass die Mikroumgebung des Knochenmarks die frühesten Entwicklungsstadien von Blutkrebs aktiv beeinflusst», Borhane Guezguez, Universitätsmedizin Mainz.
Dabei zeigte sich, dass die neu beschriebenen inflammatorischen Stromazellen grosse Mengen an Signalmolekülen produzieren. Diese ziehen Interferon-responsive-T-Zellen an und beeinträchtigen frühzeitig die Blutbildung.
Die neuen Erkenntnisse zu den Wechselwirkungen zwischen Stroma- und Immunzellen könnten «die Grundlage für vorbeugende Therapien bei CHIP oder MDS bilden, die auf die Mikroumgebung des Knochenmarks ausgerichtet sind»,
sagt Guezguez in einer Mitteilung.
Biomarker und Ansatzpunkte für Prävention
Die klaren molekularen Signaturen sowohl der entzündlichen Stromazellen als auch der Interferon-T-Zellen könnten künftig als Biomarker dienen, um Personen mit erhöhtem Risiko früh zu identifizieren.
Die Forschenden betonen zudem, dass die Befunde neue therapeutische Möglichkeiten eröffnen: Eine gezielte Modulation des Knochenmark-Mikromilieus könnte das Fortschreiten von CHIP oder MDS bremsen – bevor eine Leukämie entsteht.
Die Studie trägt ausserdem zum Verständnis des Konzepts des Inflammaging bei: einer chronischen, niedriggradigen Entzündung, die zentrale Rolle bei altersbedingten Erkrankungen wie Krebs, Herz-Kreislauf-Leiden oder Stoffwechselstörungen spielt.