Patienten mit einem Hirntumor entwickeln während bzw. einige Tage nach der Operation manchmal epileptische Krampfanfälle. Dies ist mit einem längeren Krankenhausaufenthalt, einer geringeren Lebensqualität sowie einem erhöhten Risiko für Epilepsie verbunden. Bis zu 10% der Patienten sind von derartigen Krampfanfällen betroffen. Dennoch wird die vorbeugende perioperative Verabreichung von Anti-Epileptika (AE) – auch wegen der möglicherweise ungünstigen Nebenwirkungen unter anderem auf die kognitiven Fähigkeiten der Patienten – kontrovers diskutiert.
Levetiracetam (LEV) ist Wirkstoff der neueren Generation
Mit Levetiracetam (LEV) ist ein Wirkstoff der neueren Generation verfügbar, der ein günstigeres Wirk- und Nebenwirkungsprofil aufweist als ältere Präparate. Mag. Elias Konrath, Doktorand an der Klinischen Abteilung für Neurologie des Universitätsklinikums St. Pölten und sein Team haben nun gemeinsam mit Forschenden der Universitätsklinik für Neurochirurgie in St. Pölten, erstmals in einer prospektiven, mehrjährigen, klinischen Studie untersucht, wie sich dieser Wirkstoff in der perioperativen Phase auf die kognitive Leistungsfähigkeit auswirkt.
«Unsere Patienten müssen oft schon allein durch ihre Tumorerkrankung Einbussen ihrer kognitiven Funktionen und damit ihrer Lebensqualität hinnehmen», so Konrath. «Deshalb ist es uns umso wichtiger, dass wir weitere negative Effekte durch Anti-Epileptika ausschliessen und den Patienten versichern können, dass ihre kognitive Leistungsfähigkeit auf jeden Fall erhalten bleibt.»
Über die Studie
Von 2016 bis 2020 nahm das Forschungsteam an den Klinischen Abteilungen für Neurologie und für Neurochirurgie des Universitätsklinikums St. Pölten insgesamt 43 Patienten, die mit einem primären Gehirntumor zu einem geplanten chirurgischen Eingriff vorstellig wurden, in die Studie auf. Über einen Zeitraum von 25 Tagen wurden an vier definierten Zeitpunkten vor und nach der Operation folgende Untersuchungen durchgeführt:
- Neuropsychologische Testungen,
- Fragebögen zur Lebensqualität,
- Angaben zu den Nebenwirkungen sowie die
- Ermittlung verschiedener Blutwerte.
Die 43 Betroffenen absolvierten dabei insgesamt 141 neuropsychologische Tests. Als neuropsychologisches Screening-Instrument wurde der NeuroCogFX-Test eingesetzt, der einen guten Kompromiss zwischen der zumutbaren Testdauer und der Bandbreite an untersuchten kognitiven Bereichen darstellt. So konnte sich das Forschungsteam ein Bild über vier kognitive Domänen (Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis, Gedächtnis und Sprache) verschaffen.
Perioperative Gabe von LEV hatte keinerlei nachteiligen Effekt
Es zeigte sich, dass die perioperative Gabe von LEV keinerlei nachteiligen Effekt auf irgendeine der getesteten kognitiven Funktionen innerhalb des Beobachtungsintervalls hatte. Interessanterweise war im postoperativen Verlauf sogar eine Verbesserung zu verzeichnen, was laut Mag. Konrath möglicherweise auf die Reduktion des Tumorgewebes durch die Operation zurückzuführen ist: «Besonders ausgeprägt und damit klinisch relevant war die erzielte Verbesserung des Arbeitsgedächtnisses. Dieses ist als wesentlicher Bestandteil komplexer kognitiver Prozesse an allen Arten der Informationsverarbeitung und Entscheidungsfindung beteiligt. Unseren Ergebnissen zufolge sollten Entscheidungen über die weitere Behandlung und in anderen wichtigen Bereichen der Betroffenen erst einige Wochen nach der Operation erfolgen.»
Parallel zu den kognitiven Funktionen berichteten die Betroffenen postoperativ von einer Verbesserung ihrer gesundheitsbezogenen Lebensqualität und von geringen bis moderaten LEV-bedingten Nebenwirkungen, von denen Schläfrigkeit die am öftesten genannte war. LEV hatte darüber hinaus keinen relevanten nachteiligen Effekt auf die untersuchten Blutwerte und stellt somit eine verträgliche Möglichkeit dar, das Anfallsrisiko zu minimieren. Eine ausreichende Evidenz für die effektive Vermeidung von perioperativen epileptischen Anfällen wird jedoch im Rahmen weiterer Studien geklärt werden müssen.PS