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imageBei weiblichen Säugetieren ist in der Regel eines der zwei X-Chromosomen inaktiv und zu einem sogenannten Barr-Körperchen (grün)zusammengeschnürt. Bild: Daniel Andergassen / TUM.

Stilles X-Chromosom erwacht im Alter

Frauen erkranken im Alter anders als Männer – zum Beispiel bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Demenz oder Parkinson. Münchner Forschende haben einen neuen Erklärungsansatz hierfür gefunden.

Sarah Bourdely27.5.20253"
Männer haben ein X- und ein Y-Chromosom, Frauen zwei X-Chromosomen. Soweit, so bekannt.

Allerdings ist in jeder Zelle eines der beiden X-Chromosomen gewissermassen stillgelegt. Es schnürt sich zu einer kompakten Struktur, dem Barr-Körperchen, zusammen und kann nicht mehr abgelesen werden. Ohne diesen Mechanismus würden die Gene des X-Chromosoms bei Frauen im Vergleich zu Männern doppelt abgelesen.
Im Alter lockert sich das inaktive X-Chromosom
Dass einige Gene der Stilllegung des Barr-Körperchen entkommen, ist schön länger bekannt. Bei Frauen führt dies zu einer höheren Genaktivität. Barr-Körperchen stehen zudem im Verdacht, Krankheiten zu beeinflussen.

Ein Team der Technischen Universität München (TUM) hat hierfür einen neuen Erklärungsansatz gefunden. Für ihre in «Nature aging» veröffentlichte Studie untersuchten die Forschenden die wichtigsten Organe von Mäusen in verschiedenen Lebensabschnitten.
«Wir haben jetzt erstmals nachgewiesen, dass mit zunehmendem Alter immer mehr Gene der Inaktivierung des Barr-Körperchens entkommen.» Dr. Daniel Andergassen, Gruppenleiter am Institut für Pharmakologie und Toxikologie der TUM.
Bei den alten Tieren lag der Anteil der entkommenen Gene im Durchschnitt doppelt so hoch wie bei erwachsenen Tieren - bei sechs statt drei Prozent der Gene auf dem X-Chromosom. In einigen Organen lag der Wert sogar noch höher, in den Nieren etwa bei knapp neun Prozent.

«Durch epigenetische Prozesse öffnet sich im Alter nach und nach die kompakte Struktur des inaktiven X-Chromosoms. Das geschieht hauptsächlich an dessen Enden. Dadurch können Gene, die dort liegen und zuvor abgeschaltet waren, wieder abgelesen werden», erläutert Erstautorin Sarah Hoelzl in einer Medienmitteilung der TUM.
Gene mit Krankheitsbezug werden reaktiviert
Viele der Gene, die im Alter wieder aktiv werden, sind mit Krankheiten assoziiert. Die verglichen mit Männern doppelte Genaktivität bei Frauen kann aus Sicht der Forschenden in manchen Fällen positive Auswirkungen haben, in anderen negative.

ACE2, eines der Gene, das im Alter in der Lunge entkommt, kann unter anderem Lungenfibrosen eingrenzen. Eine vermehrte Aktivität des Gens TLR8 im Alter könnte dagegen bei Autoimmunerkrankungen wie dem spät einsetzenden Lupus eine Rolle spielen.
Geschlechtsunterschiede bei Krankheiten
«Geschlechtsunterschiede in Bezug auf Krankheiten im Alter sind ein hochkomplexes Thema», sagt Daniel Andergassen. Bisher habe sich die Wissenschaft jedoch auf Unterschiede im Hormonhaushalt oder beim Lebensstil konzentriert.
«Zwar wurden auch die Rolle des X-Chromosoms und einzelner entkommener Gene bereits untersucht, doch die Entdeckung, dass viele Gene auf dem inaktiven X-Chromosom im Alter wieder aktiv werden, eröffnet völlig neue Perspektiven.» Dr. Daniel Andergassen, TMU.
Diese Erkenntnis könne als Alternative zu hormonellen Erklärungen dazu beitragen, altersbedingte Unterschiede bei Krankheiten zwischen den Geschlechtern besser zu verstehen. Andergassen: «Vielleicht sogar zu der ganz grundlegenden Frage, warum Frauen statistisch gesehen länger leben».

Zur Originalpublikation:
  • Hoelzl, S., Hasenbein, T.P., Engelhardt, S., Andergassen, D.: «Aging promotes reactivation of the Barr body at distal chromosome regions», in: «Nature Aging», Mai 2025.
  • doi:10.1038/s43587-025-00856-8

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