Globale Ungleichheiten bei der Behandlung von Frauen mit Krebs
Reiches Land, bessere Überlebenschance – armes Land, spätere Diagnose: Laut einer neuen Lancet-Studie entscheidet das Einkommen eines Landes massgeblich über den Zeitpunkt der Krebsdiagnose und die Qualität der Behandlung. Die Schweiz schneidet gut ab.
Sarah Bourdely5.11.20255"
Frauen mit Krebs haben je nach Wohnort sehr unterschiedliche Überlebenschancen. Das zeigt die bislang grösste globale Vergleichsstudie zur Versorgung bei Brust-, Zervix- und Ovarialkarzinomen.
Ziel des sogenannten VENUSCANCER-Projekts war es, zu verstehen, wie früh die Erkrankungen diagnostiziert werden – und ob die Behandlungen den internationalen Leitlinien entsprechen.
Um das herauszufinden, wertete das Forschungsteam der London School of Hygiene & Tropical Medicine (LSHTM) Daten von über 275'000 Patientinnen aus 39 Ländern aus. Die Ergebnisse wurden Ende Oktober in «The Lancet» veröffentlicht.
Die Ergebnisse im Überblick:
Der Anteil der Frauen, bei denen Krebs in einem frühen Stadium entdeckt wurde, lag in Ländern mit hohem Einkommen (high-income countries, HICs) bei 40 Prozent oder höher.
In Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen (low- and middle-income countries, LMICs) wurden unter 20 Prozent in einem frühen Stadium entdeckt.
Metastasierter Brustkrebs machte in den meisten HICs weniger als 10 Prozent aus, trat jedoch in LMICs häufiger auf (zwischen 2 und 44 Prozent). Fortgeschrittener Gebärmutterhalskrebs lag in den meisten Ländern weltweit unter 15 Prozent.
Eierstockkrebs wird – unabhängig vom Einkommen – weltweit erst im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Das liege auch daran, dass die Symptome wie Bauchschmerzen oder Blähungen unspezifisch seien und oft lange übersehen werden, so die Forschenden.
«Diese Unterschiede bedeuten, dass die Überlebenschancen von Frauen in den meisten Ländern mit niedrigem Einkommen geringer sind als in Ländern mit hohem einkommen», so das Fazit der LSHTM.
«Die Bemühungen zur Förderung der Früherkennung von Krebs sollten in allen Ländern fortgesetzt werden», kommentiert Studienleiterin Claudia Allemani, Professorin für Global Public Health an der LSHTM, die Ergebnisse.
Masektomie in armen Ländern weit verbreitet
Die Studie offenbart laut Allemani gravierende Unterschiede in der weltweiten Versorgung von Krebspatientinnen: «Leider ist der Anteil der Frauen mit Krebs, bei denen die Diagnose im Frühstadium gestellt wird, immer noch viel zu gering, insbesondere in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen.»
Unterschiede werden nicht nur in der Diagnose, sondern auch in der Behandlung deutlich. In den meisten Ländern wird Frauen mit frühem Brust-, Zervix- oder Eierstockkrebs eine Operation angeboten. Entscheidend ist jedoch, welche Art von Eingriff erfolgt und ob sie den internationalen Empfehlungen entspricht.
Bei Brustkrebs gilt die brusterhaltende Operation mit anschliessender Radiotherapie als Standard. In europäischen Ländern, darunter die Schweiz und Deutschland, wird diese Kombination bei der Mehrheit der Patientinnen mit frühem Brustkrebs umgesetzt.
Bild: Allemani et al. (2025), The Lancet.
In einkommensschwächeren Ländern ist die Mastektomie dagegen noch weit verbreitet – teils, weil Radiotherapie-Zentren oder spezialisierte Chirurginnen und Chirurgen fehlen, teils aus Angst vor Rückfällen.
Auch in reichen Ländern beeinflussen soziale und ökonomische Faktoren den Zugang zur optimalen Therapie: In den USA etwa decken manche Versicherungen die Bestrahlung nach brusterhaltender Operation nicht ab.
Schweiz im europäischen Spitzenfeld
Die Schweiz liegt laut der Studie im oberen Bereich der Hocheinkommensländer. Hier werden viele Tumoren früh entdeckt, und die meisten Patientinnen erhalten eine leitliniengerechte Primärtherapie.
40,8 Prozent der Brustkrebserkrankungen werden im Frühstadium diagnostiziert; 8,6 Prozent waren bei Diagnose bereits metastasiert.
44,8 Prozent der Eingriffe im Frühstadium entfielen auf eine brusterhaltende Operation. In dieser Gruppe erhielten 68,1 Prozent zusätzlich eine Radiotherapie. Die Medianzeit bis zur brusterhaltenden OP lag bei unter einem Monat.
Beim Ovarialkarzinom wurden 16,7 Prozent der Fälle früh erkannt; alle wurden operiert. Beim Zervixkarzinom lag die Zeit bis zur OP im Frühstadium ebenfalls bei unter einem Monat.