Das politische Deutschland hat eine Marotte: Vor allem umstrittene neue Gesetze erhalten oft verlockende und viel versprechende Namen. Die Namen sollen die Zielsetzung oder den positiven Effekt des Gesetzes betonen, sie sind daher häufig prägnant und eingängig formuliert und geben nicht selten Anlass für Diskussionen bis zu sarkastischen Bemerkungen, wenn sie mehr versprechen als sie halten. Wir erinnern an das «Gute-Kita-Gesetz», das «Starke-Familien-Gesetz», das «Geordnete-Rückkehr-Gesetz», das «Gute-Arbeit-von-morgen-Gesetz» oder das «Wachstumschancengesetz».
Und so wird denn auch über den Namen des jüngsten Gesetzesentwurfs von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach diskutiert. Das bislang nur als Entwurf vorliegende Gesetz zur Stärkung der Herzgesundheit (das «Gesundes-Herz-Gesetz», GHG) soll die Prävention und Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbessern und so gegen die derzeit häufigste Todesursache in Deutschland vorgehen. Die Deutsche Gesellschaft für Gefässchirurgie und Gefässmedizin e.V. (DGG) weist in diesem Zusammenhang allerdings auf die zentrale Bedeutung der Gefässgesundheit hin, da Herz und Gefässe zusammen ein System bilden. Herz und Gefässe seien nicht ohne einander zu denken, weshalb auch das Gefässsystem in die Präventionsbemühungen integriert werden sollte – auch im Titel des Gesetzes erkennbar.
Die Fakten
Deutschland hat das teuerste Gesundheitssystem der EU, liegt aber bei der Lebenserwartung nur knapp über dem EU-Durchschnitt. Die Ursache hierfür ist unter anderem die Sterblichkeit aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die in Deutschland höher ist als in den meisten anderen westlichen Industrienationen: Kardiovaskuläre Erkrankungen sind dort für etwa jeden dritten Todesfall verantwortlich und liegen damit weit vor der zweithäufigsten Todesursache Krebs, die für rund jeden fünften Todesfall verantwortlich zeichnet.
Gefäss-Screening
«Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursachen nicht nur erhebliches Leid, sondern auch immense Kosten», sagt Professor Dr. med. Jörg Heckenkamp, Direktor des Zentrums für Gefässmedizin am Marienhospital Osnabrück und Präsident der DGG. Es sei daher richtig, die Prävention von kardiovaskulären Erkrankungen verstärkt in den Blick zu nehmen; viele dieser Erkrankungen seien durch einen gesünderen Lebensstil vermeidbar. Bei der Betrachtung kardiovaskulärer Erkrankungen dürfe jedoch nicht allein das Herz im Fokus stehen, argumentieren die DGG-Expertinnen und -Experten. Gemeinsam mit anderen Fachgesellschaften plädieren sie dafür, die Gesetzesinitiative um Früherkennungsmassnahmen für Erkrankungen der peripheren Gefässe – speziell in den Beinen – zu ergänzen. «Wir empfehlen ausdrücklich, die periphere Arterielle Verschlusskrankheit, pAVK, samt geeigneten Screening-Massnahmen in den Gesetzesentwurf einzubeziehen», betont Heckenkamp. «Es gibt eine einfache und kostengünstige Screening-Methode, um eine pAVK frühzeitig zu erkennen – den Knöchel-Arm-Index, international auch als Ankle-Brachial-Index, ABI, bezeichnet», so Heckenkamp weiter. Zu dessen Messung wird per Doppler-Ultraschall der Blutfluss in den Arm- und Beingefässen bestimmt und zueinander ins Verhältnis gesetzt.
Dieses Screening sollte gemäss der Leitlinie zur pAVK – deren Aktualisierung im Herbst 2024 veröffentlicht wird – insbesondere Menschen mit Risikofaktoren wie Diabetes mellitus, Übergewicht, Tabakkonsum, Alkoholmissbrauch oder einem erhöhten Cholesterinspiegel angeboten werden. Sie entwickeln besonders häufig eine AVK nicht nur in den Beinen, sondern im ganzen Körper. Menschen, bei denen sie sich als koronare Herzkrankheit, KHK, manifestiert hat, profitieren ebenfalls von der ABI-Messung. «Der Index ermöglicht bei KHK eine bessere Risikoabschätzung und dient zugleich der Kontrolle des Cholesterinspiegels», betont Heckenkamp. Auffällige ABI-Werte sollten in jedem Fall Anlass sein, die betreffenden Patientinnen und Patienten in Präventionsangebote wie Gefässsportgruppen oder Programme zur Raucherentwöhnung und Gewichtsreduktion einzubinden oder medikamentös mit Aspirin und Statinen zu behandeln.
HGGG statt GHG
Damit könne nicht nur der Verlauf der pAVK positiv beeinflusst werden, sondern die Gefässgesundheit allgemein – auch die koronare Herzkrankheit. Die übergreifende Bedeutung der Gefässe sollte nach Ansicht der DGG daher im Namen des geplanten Gesetzes ersichtlich werden: Es sollte nicht als «Gesundes-Herz-Gesetz» (GHG), sondern als «Herz-Gefäss-Gesundheits-Gesetz» (HGGG) auf den Weg gebracht werden.
Quelle
Pressestelle DGG
Kerstin Ullrich
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