Immunsystem und Nervensystem galten lange Zeit als voneinander unabhängige Akteure im menschlichen Körper. Mittlerweile weiss man jedoch, dass es zwischen diesen beiden wichtigen Systemen vielfältige und in beide Richtungen wirksame Verflechtungen gibt. Die Zahl von Zellen und Botenstoffen, die sich wechselseitig beeinflussen, ist bereits innerhalb des Immunsystems enorm – ein komplexes Gefüge, von dem längst noch nicht jedes Detail verstanden ist.
«Vielleicht auch deshalb wurden zusätzliche Einflussfaktoren lange Zeit nicht berücksichtigt», meint Prof. Dr. med. Christoph Baerwald, Kongresspräsident der DGRh und emeritierter Leiter der Abteilung Rheumatologie am Universitätsklinikum Leipzig.
Autonomes Nervensystem mit Immunzellen im Austausch
Hinzu komme, dass das Immunsystem so individuell sei wie die Menschen selbst, so dass kontrollierte Studien mit standardisierten Bedingungen nur sehr schwer zu realisieren seien. Ein wichtiger Schritt für die neuroimmunologische Forschung war es daher, biochemische Mechanismen zu identifizieren, die einen direkten neuronalen Einfluss auf das Immungeschehen überhaupt plausibel erscheinen lassen. «Dies ist in den vergangenen zwanzig Jahren immer besser gelungen», sagt Baerwald. Mittlerweile gebe es überzeugende wissenschaftliche Daten dazu, wie eng besonders das autonome Nervensystem (ANS) mit verschiedenen Immunzellen im Austausch steht.
Neuroimmunologische Stimulation kann entzündungshemmend wirken
In einer Vielzahl von Studien wurde mittlerweile nachgewiesen, dass Immunzellen auf ihrer Oberfläche über Rezeptoren verfügen, die sie für die Signale von neuronalen Botenstoffen empfänglich machen. «Es gibt zudem etliche – auch klinische – Hinweise darauf, dass der Parasympathikus das immunologische Gleichgewicht in Richtung einer Entzündungshemmung verschiebt, und dass chronisch entzündliche Erkrankungen wie Rheuma mit einer verringerten parasympathischen und einer verstärkten sympathischen Aktivität einhergehen», so Baerwald. Wie komplex diese Interaktionen sind, wird bei einer genaueren Betrachtung der Sympathikus-Wirkung deutlich, die neueren Untersuchungen zufolge in der Frühphase der Immunaktivierung entzündungsfördernd wirkt, in der chronischen Phase jedoch auch entzündungshemmend wirken kann.
Das Immunsystem trainieren – und auf Medikamente verzichten
Neben dem ANS steht auch das Gehirn in Kontakt mit dem Immunsystem, und auch hier werden über bislang noch wenig charakterisierte Kanäle Informationen ausgetauscht. «Darauf basiert ein weiteres faszinierendes Konzept der Neuromodulation», erklärt Baerwald und verweist auf Studien, nach denen Immunfunktionen auch über Lern- und Konditionierungsvorgänge steuerbar sind. In Tierversuchen und auch bei ersten Studien an gesunden Probanden sei es gelungen, die Wirkung eines immunmodulierenden Medikaments, das zunächst mit einem Geruchs- oder Geschmacksreiz gekoppelt gegeben wurde, auch dann hervorzurufen, wenn nur der gekoppelte Reiz zugegen war. Daraus könnte sich die Möglichkeit ergeben, Medikamentendosierungen und damit Nebenwirkungen zu reduzieren.
In ersten klinischen Untersuchungen zeichnet sich ab, dass all diese Ansätze – von der Konditionierung über eine medikamentöse Beeinflussung von Sympathikus-Rezeptoren bis hin zur elektrischen Stimulation des zum Parasympathikus zählenden Vagusnervs – auch bei menschlichen Probanden funktionieren. «Bisherige Ergebnisse sind vielversprechend, das Potenzial der Neuromodulation ist sicherlich hoch», resümiert Baerwald. Es seien jedoch noch weiterführende Forschungen notwendig, um sichere Behandlungsregime auch für eine breite Anwendung in der Klinik zu entwickeln.PS