Chronischer Stress hinterlässt Spuren im Körper – und diese lassen sich nun erstmals direkt in medizinischen Bildern erkennen. Forschende der John Hopkins University School of Medicine haben mithilfe künstlicher Intelligenz einen neuen Biomarker identifiziert, der auf routinemässigen Thorax-CTs sichtbar ist.
Grundlage ist das Volumen der Nebennieren, das automatisiert vermessen und zum sogenannten Adrenal Volume Index (AVI) zusammengefasst wird.
Der neue Index steht in engem Zusammenhang mit Stresshormonen wie Cortisol, mit der sogenannten allostatischen Last – also der langfristigen Belastung des Körpers durch Stress – sowie mit dem subjektiv empfundenen Stress. Zudem zeigt er einen klaren Bezug zu späteren Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Warum die Nebennieren so wichtig sind
Die Nebennieren spielen eine zentrale Rolle in der Stressreaktion des Körpers, da sie unter anderem Cortisol produzieren. Während einzelne Cortisolmessungen nur den Stress zu einem bestimmten Zeitpunkt widerspiegeln, scheint das Nebennierenvolumen ein Mass für die langfristige Belastung zu sein.
«Zum ersten Mal können wir die langfristige Belastung durch Stress im Körper "sehen"», Shadpour Demehri, Johns Hopkins University.
Untersucht wurden Daten von 2’842 Teilnehmenden der Multi-Ethnic Study of Atherosclerosis. Diese einzigartige Kohorte verbindet CT-Bildgebung mit Stressfragebögen, wiederholten Cortisolmessungen und medizinischen Laborwerten. Personen mit einem höheren AVI wiesen höhere Cortisolwerte, eine stärkere Stressbelastung und ungünstigere Herzparameter auf.
«Wir konnten die mit KI ermittelten AVI-Werte mit den bis zu 10 Jahre zurückreichenden Follow-up-Daten unserer Teilnehmenden in Zusammenhang bringen und so klinisch bedeutsame und relevante Ergebnisse erzielen», sagt Seniorautor Shadpour Ghotbi in einer
Mitteilung.
Mit jedem Anstieg des AVI um 1 cm3/m2 nahm auch das Risiko für Herzinsuffizienz und Tod zu. Zudem war der Index mit einer Zunahme der linksventrikulären Herzmuskelmasse verbunden – einem bekannten Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen.
Da der Biomarker aus bereits vorhandenen CT-Daten gewonnen wird, könnte er künftig ohne zusätzliche Untersuchungen oder Strahlenbelastung genutzt werden. Die Forschenden sehen darin ein neues Werkzeug, um langfristige Stressfolgen besser zu erkennen und Präventionsmassnahmen gezielter einzusetzen – insbesondere bei Menschen mittleren und höheren Alters.