Ein menschliches Chromosom vollständig im Labor nachbauen – was noch vor wenigen Jahren wie Science-Fiction klang, wird nun zum erklärten Ziel eines britischen Grossprojekts: Das
Synthetic Human Genome Project (SynHG) will erstmals grosse Abschnitte menschlicher DNA synthetisch herstellen und dafür neue biotechnologische Werkzeuge entwickeln.
Finanziert wird das Vorhaben vom
Wellcome Trust, der zehn Millionen Pfund (knapp 11 Millionen Franken) zur Verfügung stellt. Die Initiative markiert einen Meilenstein in der Genomforschung – mit potenziellen Anwendungen in der Medizin, aber auch erheblichen ethischen und gesellschaftlichen Implikationen.
Forschungsdurchbruch mit Signalwirkung
«Zum ersten Mal werden Wissenschaftler versuchen, grosse Teile menschlicher DNA synthetisch herzustellen», sagt Prof. Dr. Malte Spielmann, Direktor des Instituts für Humangenetik am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, gegenüber dem
Science Media Center. Mithilfe neuer Technologien sollen künftig DNA-Abschnitte mit Hunderttausenden von Basenpaaren erzeugt werden – ein Durchbruch in der DNA-Synthese.
«Es handelt sich um ein grundlagenwissenschaftliches Projekt. Das erklärte Ziel ist nicht, einen künstlichen Menschen zu erschaffen.» Prof. Dr. Nils Hoppe, Centre for Ethics and Law in the Life Sciences, Hannover.
Auch Prof. Dr. Michael Knop, Sprecher des Zentrums für Synthetische Genomik in Heidelberg, betont die Tragweite: «Mit der finanziellen Förderung des Wellcome Trust können Technologien entwickelt werden, die viele Bereiche der Wissenschaft und Biotechnologie sowie der Biomedizin beeinflussen werden».
Was heute in Zellkulturen möglich wird, könnte langfristig neue therapeutische Ansätze ermöglichen, insbesondere in der Krebsmedizin. Ein Nebeneffekt: Ein besseres Verständnis der bislang kaum erforschten nicht-codierenden DNA, die über 98 % des menschlichen Genoms ausmacht. Gerade in dieser «dunklen Seite des Genoms» könnte ein enormes Potenzial verborgen liegen, so Spielmann.
Zwischen Innovationsschub und moralischer Verantwortung
Doch die Vision eines künstlich geschaffenen menschlichen Chromosoms ruft auch kritische Stimmen auf den Plan. Prof. Dr. Nils Hoppe, Ethikexperte aus Hannover, warnt: «Die hier zu entwickelnde Technologie birgt zahlreiche Risiken des Missbrauchs in sich.» So könnten etwa neuartige biologische Kampfstoffe entstehen – oder der Versuch unternommen werden, bestimmte körperliche Merkmale «auf Bestellung» herzustellen. Das liefe «fundamentalen gesellschaftlichen Vorstellungen zuwider», so der Experte.
Moderne biotechnologische Verfahren bewegen sich oft im Spannungsfeld zwischen wissenschaftlichem Fortschritt und möglichem Missbrauch. Für Hoppe ist das jedoch kein Grund, vor Innovationen zurückzuschrecken. Viele Technologien in den Lebenswissenschaften seien «sowohl für den Erkenntnisfortschritt als auch für nicht wünschenswerte Zwecke» verwendbar. Gerade deshalb dürften potenzielle Risiken nicht pauschal als Gegenargument für Forschung herhalten – insbesondere dann nicht, «wenn anderswo auf der Welt unter anderen ethischen Rahmenbedingungen die Technologie ohnehin weiterentwickelt würde».
Auch Prof. Dr. Eva Winkler, Mitglied im Deutschen Ethikrat, mahnt zu Transparenz und gesellschaftlicher Einbindung: «Der potenzielle Nutzen sollte deutlich verständlicher und besser kommuniziert werden als in den bisher zugänglichen Presseberichten.» Gerade weil synthetische DNA nicht geerbt, sondern «designt» wird, stellen sich neue Fragen nach Eigentum, Zugang und dem moralischen Status zukünftiger Anwendungen.
«Offensichtliche Bedenken – ähnlich der Debatte beim Klonen – sind Designer-Menschen, synthetische Menschen und Organe als "Ersatzteillager", die Kommerzialisierung oder Patentierung des Genoms und mögliche militärische Anwendungen.» Prof. Dr. Eva Winkler, Deutscher Ethikrat.
Trotz aller Vorbehalte herrscht unter den vom Science Media Center befragten Forschenden Einigkeit über das wissenschaftliche Potenzial des Projekts. «Das SynHG ist ein inhaltlich wie ethisch gut durchdachtes Forschungsprojekt», fasst Spielmann zusammen. Knop ergänzt: «Die Synthese eines menschlichen Chromosoms ist ein komplexes Unterfangen – ein öffentlichkeitswirksames Zeichen, ähnlich wie die Mondlandung.»