Im Fokus der Forscher stand ein im Blut messbarer Zellbaustein, der für einen bestimmten Typ von Zellen im Gehirn charakteristisch ist. Diese Zellen, die Astrozyten, spielen eine zentrale Rolle bei Prozessen im Rahmen von Multipler Sklerose (MS), die etwa zu bleibenden Lähmungen führen.
«Glial fibrillary acidic protein» (GFAP)
Der Blutwert dieses Zellbausteins namens «Glial fibrillary acidic protein» (GFAP) steigt, wenn Astrozyten aktiviert oder wenn sie vermehrt abgebaut werden. Dass erhöhte GFAP-Blutwerte sowohl das aktuelle wie auch das künftige Fortschreiten der MS anzeigen können, zeigt die Forschungsgruppe um Prof. Dr. Jens Kuhle. Ihre Ergebnisse beruhen unter anderem auf Daten der
Schweizerischen Multiple-Sklerose-Kohorte.
Der Einsatz von Biomarkern ändert die klinische Praxis
Die Forschungsgruppe um Jens Kuhle an der Universität Basel und dem Universitätsspital Basel stellt damit innerhalb kurzer Zeit bereits den zweiten Biomarker vor, der die Therapieentscheidungen bei MS unterstützen kann. Im vergangenen Jahr konnte das Forschungsteam bereits zeigen, dass ein Teil der MS-Betroffenen mit scheinbar stabilem Krankheitsverlauf hohe Blutwerte des Biomarkers «Neurofilament light chain» (NfL) aufwies. NfL zeigt spezifisch neuronale Schädigungen an.
Diese Personen hatten eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit, im Folgejahr auch Symptome zu zeigen. Da NfL also frühzeitig und sensitiv Krankheitsaktivität voraussagt, können diese Patienten nun zielgerichteter und vorausschauend therapiert werden.
NfL und GFAP: Marker für verschiedene Krankheitsmechanismen
Im Vergleich zu NfL erlaubt GFAP als Blutmarker Rückschlüsse auf einen anderen Aspekt der komplexen Pathophysiologie von MS:
- Während erhöhte NfL-Blutwerte auf neuronale Schädigungen hinweisen,
- deutet der neue Biomarker GFAP spezifisch auf chronische Krankheitsprozesse hin, an denen Astrozyten beteiligt sind und die mit der schleichend fortschreitenden Behinderung zusammenhängen.
«GFAP und NfL ergänzen sich somit gegenseitig», sagt Jens Kuhle. »Sie können uns darin unterstützen, die Behandlung bei MS individueller und vorausschauender zu gestalten.» Solche Ergebnisse der Biomarker-Forschung bringen sowohl die Möglichkeiten beim Therapiemonitoring und bei der Prognosestellung als auch die Forschung zur Krankheitsentstehung um einen grossen Schritt weiter.PS
Die
Schweizerische MS-Kohorte (SMSC), die seit 2012 von Basel aus initiiert und geleitet wird, bildet für derartige Biomarker-Forschung auch im internationalen Quervergleich einzigartige Voraussetzungen. Die SMSC ist die Grundlage für eine der international vollständigsten Datenbanken für klinische Forschung zu MS und umfasst Daten von über 1600 Patientinnen und Patienten aus acht Schweizer Zentren. Sie dokumentiert Informationen von über 13 000 Visiten und knapp 1000 Krankheitsschüben. Zudem umfasst sie rund 8000
standardisierte und evaluierte MRI-Untersuchungen.