Auch ohne durchlaufene Pubertät können Trans-Personen im Erwachsenenalter ein erfülltes Sexualleben führen. Das legt eine niederländische Studie nahe, die im «
Journal of Sexual Medicine» veröffentlicht wurde.
Die Forschenden fanden keinen signifikanten Unterschied in der sexuellen Zufriedenheit zwischen Trans-Erwachsenen, die als Jugendliche Pubertätsblocker erhalten hatten, und der allgemeinen Bevölkerung.
Sexuelle Zufriedenheit trotz früher Hormonbehandlung
Von 145 kontaktierten Personen nahmen 70 an der Befragung teil. Unter den Teilnehmenden waren 20 Trans-Frauen und 50 Trans-Männer, die im Durchschnitt 14 Jahre zuvor im Jugendalter Pubertätsblocker erhalten hatten. Etwa drei Viertel davon hatten die Blocker in der späten Pubertät erhalten, etwa ein Viertel in der frühen. Alle hatten daraufhin eine geschlechtsangleichende Hormonbehandlung erhalten, drei Viertel zusätzlich eine Operation.
Etwa die Hälfte der Befragten (49%) war mit ihrem Sexualleben zufrieden – ein Wert, der mit dem der Gesamtbevölkerung (47%) vergleichbar ist.
Sexuelle Funktionsstörungen traten bei 50 % der Teilnehmenden auf. Bei Transmännern war das Problem am häufigsten das Initiieren von Sex, bei Trans-Frauen die Orgasmusfähigkeit. Die Häufigkeit lag aber nicht höher als bei Trans-Personen, die keine Pubertätsblocker erhalten hatten.
Kontroverse Bewertung der Ergebnisse
Das Science Media Center Deutschland hat Expertinnen und Experten gefragt, was die Studie nun über den Einfluss von Pubertätsblockern auf die langfristige sexuelle Funktion aussagen kann. Die Reaktionen fallen unterschiedlich aus:
KD Dr. Dagmar Pauli (Psychiatrische Universitätsklinik Zürich) sieht in der Studie einen «wichtigen ersten Schritt» zur Untersuchung der sexuellen Gesundheit nach Pubertätsblockade. Angesichts der kleinen, aber relevanten Stichprobe und des langen Nachbeobachtungszeitraums von 14 Jahren hält sie die Ergebnisse für aussagekräftig im deskriptiven Sinn. Die getrennte Erhebung von sexueller Funktion und Zufriedenheit sowie die Unterscheidung zwischen früher und später Blockade ermöglichen laut Pauli eine differenzierte Sicht, erschweren aber statistische Vergleiche. Sie betont: «Die Entscheidung über Pubertätsblocker beziehungsweise geschlechtsangleichende Massnahmen muss immer sorgfältig im Einzelfall unter Abwägung aller Risiken einer Behandlung beziehungsweise einer Nichtbehandlung erfolgen».
Dr. Achim Wüsthof (Endokrinologikum Hamburg) bewertet die Studie als beruhigend für die Aufklärung von Jugendlichen, da «keine gravierenden Beeinträchtigungen ihrer künftigen Sexualität durch den Einsatz von Pubertätsblockern zu befürchten» seien. Er verweist aber auch auf Hinweise auf leichte Beeinträchtigungen bei der früh behandelten Gruppe – wenngleich diese nicht statistisch signifikant waren.
Prof. Dr. Georg Romer (Universitätsklinikum Münster) lobt die Grösse der Kohorte angesichts der geringen Fallzahlen von Personen mit Geschlechtsdysphorie und betont: Die Studienergebnisse sprechen nicht gegen Pubertätsblocker – im Gegenteil. Die sexuelle Zufriedenheit sei vergleichbar mit jener von Trans-Personen ohne Hormonblockade. Risiken wie sexuelle Funktionsstörungen seien nicht höher. Bei weiteren Studien sollten jedoch «Unterschiede in Bezug auf gewählte Operations-Techniken bei eventuell späteren genitalangleichenden Operationen» besonders in den Blick genommen werden.
Prof. Dr. Florian Zepf (Universitätsklinikum Jena) hingegen äussert deutliche methodische Kritik. Die Studie sei «massiv unterpowered», die Aussagen «nicht empirisch gedeckt» und «potenziell irreführend». Die Schlussfolgerung, dass frühe Blockade unbedenklich ist, sei angesichts der kleinen Subgruppen nicht haltbar. Besonders problematisch: Der Einfluss von Cross-Sex-Hormonen und Operationen könne nicht isoliert werden. Auch seien relevante psychosoziale Faktoren nicht erhoben worden. Sein Fazit: «Diese Art des Vorgehens und die von den Daten nicht gedeckte Interpretation der Befunde erzeugt eine Scheinsicherheit, für die es keine empirische Grundlage gibt. Eine solche Kommunikationspraxis steht im Widerspruch zu den Prinzipien evidenzbasierter Medizin.»
Diskussionsbeitrag mit offenen Fragen
Die Studie liefert wertvolle Einblicke – aber keine abschliessende Antwort. Während einige Fachleute in ihr eine Bestätigung für die Praxis der frühen Intervention sehen, mahnen andere zu methodischer Vorsicht.
Der Bedarf an prospektiven, gross angelegten Langzeitstudien bleibt hoch – besonders angesichts der aktuellen gesellschaftlichen und politischen Debatte um die Behandlung von Trans-Jugendlichen.