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SGAIM publiziert zweite Top-5-Liste

Die Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM) gibt neue Empfehlungen für den stationären Bereich ab.

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1) Keine prophylaktische Antikoagulation bei Akutpatienten mit geringem Risiko venöser thromboembolischer Ereignisse.
Mittels prophylaktischer Antikoagulation lässt sich die Inzidenz venöser thromboembolischer Ereignisse bei Akutpatient:innen mit Risikofaktoren für venöse Thrombosen verringern. Diese prophylaktische Antikoagulation bringt ein erhöhtes Risiko hämorrhagischer Ereignisse mit sich. In der medizinischen Praxis im Spital wird bei der Verordnung prophylaktischer Antikoagulation nicht ausreichend auf eine Abwägung mit dem Risiko venöser Thrombosen geachtet. Die Hälfte bis drei Viertel aller Patienten erhält trotz geringem Risiko unnötigerweise prophylaktische Antikoagulation ohne festgestellten Nutzen. Unter den verschiedenen Scores zur Bewertung des Risikos venöser Thrombosen sind der Geneva-Score, der vereinfachte Geneva-Score, der Padua-Score und IMPROVE zu erwähnen, die trotz nicht perfekter Sensibilität von 70 bis 90% bei Patienten mit hohem Risiko für im Spital erworbene Venenthrombosen nach wie vor sinnvoll sind, um eine Patientengruppe mit geringem Risiko und geringer Inzidenz venöser thromboembolischer Ereignisse (beispielsweise < 1% nach 90 Tagen beim Geneva-Score) zu identifizieren. Die prophylaktische Antikoagulation bringt Unannehmlichkeiten für die Patienten sowie Kosten für das Pflegepersonal und die pharmazeutischen Produkte mit sich, die aufgrund des fehlenden Nutzens nicht gerechtfertigt sind.

2) Keine Antibiotikatherapie aufgrund erhöhter Entzündungswerte wie C-reaktives Protein (CRP) oder Procalcitonin (PCT) als alleinige Indikation.
Entzündungsparameter zeigen einen inflammatorischen Prozess im Körper an, der unterschiedlichste Ursachen haben kann. Sie sind keineswegs spezifisch für Infektionen oder gar für bakterielle Infektionen und müssen deshalb immer im klinischen Kontext interpretiert werden. Erhöhte Entzündungsparameter können Anlass sein, gezielt nach einer Infektion zu suchen. Ohne spezifische klinische Symptomatik für eine Infektion (z.B. Pneumonie, Harnwegsinfektion, Blutstrominfektion usw.) stellen sie keine Indikation für den Einsatz von Antibiotika dar.

3) Keine systematische medikamentöse Behandlung erhöhter Blutdruckwerte während eines akuten Spitalaufenthalts.
Erhöhte Blutdruckwerte sind während eines akuten Spitalaufenthalts und führen oft zu einer Intensivierung der antihypertensiven Therapie oder zur Initiierung einer medikamentösen Therapie bei Personen ohne vorbekannte Hypertoniediagnose. Mehrere Faktoren können tatsächlich den Blutdruck während eines akuten Spitalaufenthalts erhöhen, zum Beispiel Schmerzen, Stress, Angst, Schlafmangel, unbehandelte Schlafapnoe, Entzug oder Fieber. Bei fehlenden Hinweisen für einen hypertensiven Notfall («hypertensive emergency», das heisst mit Endorganschädigung) oder für eine hypertensive Krise («hypertensive urgency», das heisst mit Risikofaktoren für Komplikationen) gibt es während eines akuten Spitalaufenthalts keine Indikation, eine antihypertensive Therapie zu starten oder zu intensivieren. Im Gegenteil kann der Beginn oder die Intensivierung einer solchen Therapie Komplikationen (z.B. Schwindel, Stürze) begünstigen, ohne die Einstellung des Blutdrucks langfristig zu verbessern. Während eines akuten Spitalaufenthalts muss man vorerst hypertensive Notfälle und hypertensive Krisen erkennen und in anderen Situationen auf eine medikamentöse Therapie verzichten. Parallel dazu müssen externe Faktoren, die zu einer Blutdruckerhöhung führen können, gesucht und behandelt werden.

4) Bei Verlassen des Spitals keine Verschreibung von Neuroleptika, deren Verabreichung während der Hospitalisierung gegen Schlaflosigkeit oder Unruhe initiiert wurde; bei jeder Verschreibung Neubewertung der Indikation nach der akuten Phase vorsehen.
Swissmedic und die amerikanische Food and Drug Administration haben der Verabreichung von Neuroleptika der zweiten Generation (Quetiapin, Risperidon, Olanzapin usw.) zur Behandlung verschiedener neuropsychiatrischer Leiden zugestimmt. In den letzten Jahren waren vermehrt Off-Label-Verschreibungen dieser Medikamente aufgrund ihrer sedativen und hypnotischen Eigenschaften zu beobachten. Im Spitalumfeld haben atypische Neuroleptika umfangreiche Anwendung beim Management von Schlaflosigkeit, Unruhe sowie Verhaltensproblemen in Zusammenhang mit Demenz gefunden. Neuroleptika der zweiten Generation bringen ein erhöhtes Risiko metabolischer Komplikationen, von Sedierung und Schläfrigkeit, extrapyramidaler Symptome, kognitiver Beeinträchtigungen und traumatischer Stürze mit sich. Angesichts dieser unerwünschten Wirkungen sowie des Abhängigkeitspotenzials sollte von der Off-Label- und der langfristigen Verschreibung von Neuroleptika der zweiten Generation abgesehen werden. Die Risiken und der Nutzen müssen zum Zeitpunkt der Verschreibung systematisch aufs Sorgfältigste bewertet werden. Ausserdem dürfen diese Neuroleptika nicht an demenzbeeinträchtigte Patienten verabreicht werden, sofern keine schwerwiegenden und/oder erhebliches Leiden verursachenden Symptome vorliegen.

5) Keine Verabreichung von Sauerstoff bei Akutpatienten, um eine kapillare Sauerstoffsättigung von 94% oder darüber zu behalten.
Wenn keine Ateminsuffizienz oder verminderte periphere kapillare Sauerstoffsättigung (SpO2) < 90% vorliegt, erhalten Akutpatienten oftmals ohne deutliche Evidenz eine Sauerstofftherapie (O2). Studien an hospitalisierten Akutpatienten haben ergeben, dass die freigiebige O2-Verabreichung im Vergleich zu einer konservativen Strategie mit geringeren SpO2-Zielwerten und somit eingeschränkter O2-Verabreichung mit einer Übersterblichkeit assoziiert ist. Ausserdem führt die O2-Verabreichung zum Austrocknen und zu Beschwerden auf Ebene der Nasenhöhlen und des Rachenraums. Eine Metaanalyse und eine Rapid Recommandation des «British Medical Journal» empfehlen in diesen Fällen dringend, eine SpO2 von 96% nicht zu überschreiten. Etliche Empfehlungen richten sich an diesem Grenzwert aus. Mit schwächerer Evidenz wird ein SpO2-Zielwert zwischen 90% und 94% oder 88% und 92% empfohlen, sofern das Risiko einer hyperkapnischen Dekompensation (z. B. COPD, neuromuskuläre Erkrankung des Atmungssystems, obstruktive Hypoventilation) besteht. Diese Empfehlung ist nicht auf CO-Vergiftung, Cluster-Kopfschmerzen, vasookklusive Krisen bei Sichelzellanämie oder Pneumothorax anzuwenden.

Die Einschränkung einer ohnehin nicht mit Nutzen verbundenen und risikobehafteten freigiebigen O2-Verabreichung begrenzt zudem den finanziellen Aufwand und die Umweltbeeinträchtigungen in Zusammenhang mit der Herstellung des Sauerstoffs und der für seine Verabreichung erforderlichen Hilfsmittel. Bei dunkelhäutigen Patient:innen kann die SpO2-Messung verfälscht und das Ausmass der Hypoxämie kann unterschätzt werden.PS

Quelle: smarter medicine/Medienmitteilung, 31.08.2023

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