Forschende der Berliner Charité berichten in «
Nature»
von einem über 60-jährigen Patienten, der nach einer allogenen Stammzelltransplantation in anhaltender HIV-Remission ist.
Der sogenannte «zweite Berliner Patient» (B2) erhielt 2015 die Diagnose akute myeloische Leukämie. Nach einer Chemotherapie wurden ihm Stammzellen aus dem Blut einer Spenderin extrahiert und zum Aufbau neuer Blutzellen transplantiert. Drei Jahre nach der Transplantation setze der Patient die antivirale Therapie ab.
Das Besondere: Im Gegensatz zu den ersten dokumentierten Heilungsfällen, darunter der
erste Berliner Patient Timothy Ray Brown, erhielt B2 Stammzellen von einem Spender, dessen Zellen nicht vollständig gegen das HI-Virus resistent waren.
Spender war nicht gegen HIV immun
«Die bisher von HIV geheilten Patienten wurden von Spendern transplantiert, die homozygot für die CCR5Δ32-Mutation waren [...] Diesmal trug der Spender die CCR5Δ32-Mutation nur in einer seiner zwei Genkopien, er war heterozygot», erklärt Boris Fehse, Leiter der Forschungsabteilung Zell- und Gentherapie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf gegenüber dem Science Media Center.
Heterozygote Träger der Mutation können von HIV infiziert werden. Allerdings sind sowohl das Infektions- als auch das spätere Erkrankungsrisiko vermindert, so Fehse. «Da es aber beim Spender nur einen begrenzten Schutz vor HIV gab, war bei Weitem nicht sicher, dass die Transplantation auch zu einer Unterdrückung der HIV-Infektion führt.»
Die Forschenden konnten vor der Transplantation intakte provirale HIV-DNA im Blut nachweisen. Nach der Transplantation und auch sechs Jahre nach Absetzen der antiretrovirale Therapie fanden sich jedoch weder replikationsfähige Viren noch intakte Provirus-Signale. Zudem unterstützte das Abklingen der HIV-spezifischen Antikörper- und T-Zell-Reaktionen die Annahme, dass keine virale Aktivität mehr im Körper stattfand.
Reduktion des viralen Reservoirs im Fokus
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die vollständige genetische Resistenz der Spenderzellen nicht zwingend notwendig für eine dauerhafte Remission ist. Entscheidend scheint vielmehr die immunulogische Reduktion des HIV-Reservoirs im Patienten.
«Im Idealfall kommt eine natürliche HIV-Resistenz in Spenderzellen durch eine homozygote CCR5-Mutation hinzu, wie beim ersten Berliner, dem Londoner oder dem Düsseldorfer Patienten. Wenn eine effektive Reduktion des HIV-Reservoirs gelingt, scheint jedoch die vollständige genetische Resistenz gegen HIV eine geringere Rolle zu spielen» erläutert Guido Kobbe vom Universitätsklinikum Düsseldorf.
Während Stammzelltransplantationen aufgrund ihrer hohen Risiken nur für HIV-positive Patienten mit lebensbedrohlichen Krebserkrankungen infrage kommen, liefert dieser Fall wertvolle Erkenntnisse für die Entwicklung neuer Heilungsstrategien. Christoph D. Spinner vom TUM Klinikum fasst zusammen: «Jeder weitere Heilungsfall ist ein Grund zur Hoffnung, weil er das Verständnis um die Mechanismen der Voraussetzungen für weitere Heilungsfälle optimiert».
Neue Ansätze für zukünftige HIV-Therapien
- Erweiterter Spenderpool: Die Erkenntnis, dass auch heterozygote Spender infrage kommen, erweitert den potenziellen Spenderpool für HIV-positive Krebspatienten erheblich, da die heterozygote Mutation zehnmal häufiger ist als die homozygote.
- Gentherapeutische Strategien: Der Erfolg ohne vollständigen CCR5-Knockout ist ein ermutigendes Signal für die Gentherapie, etwa das CCR5-Targeting in autologen Blutstammzellen mittels der CRISPR-Genschere
- Kombinierte Immuntherapien: Zukünftige Heilungsstrategien werden voraussichtlich mehrere Elemente kombinieren: Gentherapie, passive Immuntherapien, Immunmodulation zur Verstärkung gegen das HIV-Reservoir gerichteter Effekte sowie Methoden zur gezielten Reaktivierung und Eliminierung latenter Reservoirzellen