Home/Titandioxid gilt nicht mehr als krebserregend beim Einatmen
imageTitandioxid wird als weisses Pigment in Farben, Kosmetika, Sonnenschutzmitteln, Zahnpasta, und Arzneimitteln genutzt. Symboldbild: Unslpash

Titandioxid gilt nicht mehr als krebserregend beim Einatmen

Der Europäische Gerichtshof hat die Einstufung von Titandioxid als «möglicherweise krebserregend beim Einatmen» aufgehoben. Fachpersonen begrüssen das Urteil als wissenschaftlich gerechtfertigt.

Sarah Bourdely4.8.20254"
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden: Titandioxid in Pulverform darf nicht mehr als «möglicherweise krebserregend beim Einatmen» eingestuft und gekennzeichnet werden.

Damit erklärte das Gericht am 1. August 2025 eine Verordnung der EU-Kommission aus dem Jahr 2019 für nichtig, die entsprechende Warnhinweise für Produkte mit Titandioxid-Pulver vorgeschrieben hatte.
Hintergrund: Was wurde entschieden?
Titandioxid (TiO₂) ist das weltweit meistgenutzte Weisspigment und Bestandteil zahlreicher Produkte – von Farben und Lacken bis zu Kosmetika. Seit 2022 ist es in Lebensmitteln EU-weit verboten.

Die umstrittene EU-Verordnung von 2019 sah eine Kennzeichnungspflicht für Produkte mit mehr als einem Prozent TiO₂-Partikeln (unter zehn Mikrometer) vor. Grundlage war eine Bewertung der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), die auf einer einzigen Tierstudie beruhte – der sogenannten Heinrich-Studie von 1995.

Das Gericht der Europäischen Union (EuG) hatte bereits 2022 entschieden, dass diese Einstufung wissenschaftlich nicht tragfähig sei. Gegen dieses Urteil legten Frankreich und die EU-Kommission Rechtsmittel ein – erfolglos. Der EuGH bestätigte nun: Die Risikobewertung der ECHA habe relevante Aspekte nicht ausreichend berücksichtigt.
Stimmen aus der Wissenschaft
Fachleute aus Toxikologie und Umweltrisikobewertung werten das Urteil gegenüber dem Science Media Center Germany als folgerichtig – und sehen grundlegende Implikationen für die chemikalienrechtliche Regulierung in Europa.

Prof. Dr. Thomas Backhaus, Leiter des Lehrstuhls für Ökotoxikologie, RWTH Aachen, sieht keine ausreichende Evidenz für eine generelle Einstufung von TiO₂ als Karzinogen – insbesondere nicht bei Alltagsexposition. «Ein Risiko für die generelle Population sehe ich in Bezug auf Karzinogenität durch Inhalation nicht. Dazu ist die Exposition zu gering.»

Zugleich mahnt er mehr wissenschaftliche Verantwortung bei Herstellern an, zumal die Datenlage immer noch ausgesprochen unbefriedigend sei: «Warum werden von TiO2-Produzenten nicht (freiwillig) entsprechende Studien durchgeführt?»


Der Toxikologe Prof. Dr. Martin Wilks von der Universität Basel unterstreicht seinerseits die Schwierigkeit, Ergebnisse aus Tierversuchen auf Menschen zu übertragen. So wurden Tumore nach Inhalation ultrafeiner Partikel bei Ratten, nicht jedoch in vergleichbaren Studien bei Mäusen beobachtet. «Epidemiologische Studien bei Arbeitern, die in der Produktion von TiO2 tätig waren, haben bislang auch keine Hinweise auf eine dosisabhängige Zunahme von Lungentumoren ergeben».

Das Urteil verdeutliche die Notwendigkeit, zwischen «intrinsischer Eigenschaft, Krebs zu erzeugen» und tatsächlichem Risiko differenziert zu bewerten. Dabei seien Faktoren wie «Aggregatzustand, eine bestimmte Form und Grösse und natürlich die Höhe der Exposition» entscheidend.

Dr. Helge Kramberger-Kaplan, Geschäftsführer des Dr. Robert-Murjahn-Instituts, war als Experte direkt am Verfahren beteiligt. Auch er begrüsst die differenzierte Sicht des Gerichts in Anbetracht der Studienlage: «Im Alltag ist das dauerhafte Auftreten so hoher Staubkonzentrationen, dass ein entsprechender Effekt in menschlichen Lungen auftritt, völlig ausgeschlossen. Selbst in Studien an Tausenden Arbeiter*innen in der Titandioxidherstellung wurden keine Hinweise darauf gefunden.»

Ob und wie das Urteil künftige Einstufungen im Rahmen der europäischen CLP-Verordnung (Classification, Labelling and Packaging) beeinflusst, bleibt abzuwarten. Klar ist: Der Fall Titandioxid wird zum Präzedenzfall in der Debatte um Regulierung, Transparenz und wissenschaftliche Sorgfalt.

just-medical!
Blegistrasse 5
6340 Baar
Schweiz

www.just-medical.com

Über uns
 
Kontakt
info@docinside.ch
+41 41 766 11 55