Die Zahl der dokumentierten Demenzfälle in Deutschland ist rückläufig. Das zeigt ein Forschungsteam um PD Dr. Dr. Bernhard Michalowsky vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). Ihre Analyse zur Häufigkeit von Demenzdiagnosen im vertragsärztlichen Bereich basiert auf Abrechnungsdaten der gesetzlichen Krankenkassen – mit einer Abdeckung von 88 % der Bevölkerung.
Demnach sank die Inzidenz bei über 65-Jährigen zwischen 2015 und 2022 um rund 26 Prozent, die Prävalenz um 18 Prozent. In absoluten Zahlen bedeutet dies einen Rückgang von 1,56 Millionen auf 1,43 Millionen dokumentierte Fälle.
Die
Studie wurde im «Deutschen Ärzteblatt» veröffentlicht. Prof. Frank Jessen, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Uniklinik Köln, spricht in einem begleitenden
Editorial von «erstaunlichen und nicht erwarteten Zahlen».
Mögliche Ursachen
Warum Demenz seltener diagnostiziert wird, ist noch nicht abschliessend geklärt. Studien deuten darauf hin, dass das individuelle Risiko für Demenz in vielen Industrieländern gesunken ist.
Als mögliche Gründe gelten:
- höheres Bildungsniveau und kognitiv anspruchsvollere Berufe
- bessere Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Cholesterinerhöhungen
- Rückgang von Tabak- und Alkoholkonsum
- mehr körperliche Aktivität und gesündere Ernährung
«Die Ursachen sind möglicherweise vielfältig und könnten je nach Land unterschiedlich sein»,
erklärt DZNE-Vorstand Prof. Gabor Petzold. Sollte sich dieser Rückgang bestätigen, wäre dies «eine erfreuliche Entwicklung». Umso wichtiger sei es, die Ursachen dafür zu verstehen und durch Prävention aktiv zu unterstützen.
Erfreulicher Trend, aber offene Fragen
Neben echten epidemiologischen Veränderungen könnte auch ein verändertes Diagnose- oder Kodierverhalten den Rückgang erklären. «Der rückläufige Trend bei der Anzahl Demenzdiagnosen ist von den Hausarztpraxen geprägt. Bei den niedergelassenen Fachärzten sind die Demenzdiagnosen hingegen gestiegen», so Michalowsky.
Zudem sei unklar, ob Diagnosen aus Gedächtnisambulanzen oder Kliniken systematisch in den Praxen dokumentiert werden. Auch die Corona-Pandemie mit weniger Arztbesuchen könnte Einfluss gehabt haben.
Parallel dazu nahmen die dokumentierten leichten kognitiven Störungen (MCI) zu – um 61,6 % von 0,19 Millionen Fällen im Jahr 2015 auf 0,30 Millionen Fälle im Jahr 2022. Das sei von Bedeutung, betont Jessen im Editorial des «Deutschen Ärzteblatts», da zukünftige Alzheimer-Antikörpertherapien vor allem in diesem frühen Stadium wirken könnten.
Die Daten liefern Hinweise auf einen echten Rückgang der Demenzinzidenz in Deutschland – gleichzeitig bleiben viele Fragen offen. Eines ist jedoch klar: Demenz ist und bleibt eine Volkskrankheit mit erheblichen Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen – inklusiver deren Familien. «Forschung für bessere Behandlungsmethoden und Prävention bleibt daher unerlässlich», so Michalowsky.
Quellen:
- Michalowsky, Bernhard; Hoffmann, Wolfgang; Riedel-Heller, Steffi; Kohring, Claudia, et al.: «Rückgang der Demenzdiagnosen im niedergelassenen Bereich. Eine Auswertung von vertragsärztlichen Abrechnungsdaten», in: «Deutsches Ärzteblatt», Juli 2025. DOI:10.3238/arztebl.m2025.0090.
- Jessen, Frank: «Demenz: unverhoffter Rückgang der Neuerkrankungen», in: «Deutsches Ärzteblatt», Juli 2025. DOI: 10.3238/arztebl.m2025.0100.
- DZNE: «Neue Studie: weniger Demenzdiagnosen in Arztpraxen»