Forschende der Uniklinik Köln haben einen Antikörper entdeckt, der das HI-Virus in bisher unerreichter Breite neutralisieren kann. Die in «Nature Immunology» veröffentlichte
Studie könnte den Weg zu neuen Strategien in der Behandlung und Vorbeugung von HIV-Infektionen ebnen – und liefert neue Hoffnung im jahrzehntelangen Kampf gegen das Virus.
Lernen von «Elite-Neutralisierern»
Das Forschungsteam um Florian Klein untersuchte Blutseren von 32 sogenannten «Elite-Neutralisierern» aus verschiedenen Ländern. Dabei handelt es sich um HIV-infizierte Personen, die eine besonders starke und breit wirksame Antikörperantwort entwickeln können. Aus deren Blut extrahierten sie 831 verschiedene, monoklonale Antikörper und testeten diese im Laborexperiment auf ihre Fähigkeit, verschiedenste Varianten von HI-Pseudoviren zu neutralisieren.
Der neu identifizierte Antikörper mit dem Kürzel 04_A06 erwies sich dabei als besonders wirksam: Er konnte 98,5 Prozent von mehr als 300 verschiedenen HIV-Stämmen neutralisieren. Damit gehört er zu den breit wirksamsten HIV-1 Antikörpern,
wie die Universität zu Köln mitteilt.
Antikörper mit Greifarm ausgestattet
Die besondere Wirkung erklären die Forschenden durch die aussergewöhnliche Struktur des Moleküls: Der Antikörper besitzt eine verlängerte Aminosäurekette, die wie ein zusätzlicher Greifarm wirkt. Dadurch kann er an Regionen des Virus andocken, die normalerweise schwer zugänglich sind.
«Mit 04_A06 haben wir einen Antikörper entdeckt, der nicht nur außergewöhnlich breit wirkt, sondern auch klassische Resistenzmechanismen des Virus überwindet. Damit könnte sich ein vielversprechender Ansatz für die klinische Anwendung von Antikörpern gegen HIV eröffnen», sagt Lutz Gieselmann, Assistenzarzt am Institut für Virologie und Erstautor der Studie.
Experten ordnen ein
PD Dr. Christoph Spinner, Oberarzt und Leiter der Infektiologie am TUM-Klinikum München, hob insbesondere die aussergewöhnlich hohe Neutralisationskapazität des neuen Antikörpers hervor:
«Die antikörperproduzierenden B-Zellen stammen hierbei von sogenannten ‚Elite-Controllern‘, das sind Menschen, die eine HIV-Infektion auch ohne antivirale Therapie kontrollieren können. Das ist insofern von hoher klinischer Relevanz, als davon auszugehen ist, dass ‚Elite-Controller‘ so wirksame HIV-spezifische Antikörper bilden, dass sie mit einer antiviralen Substanz vergleichbar wirksam sind. Dies wird in der Studie bestätigt, weil die Neutralisationskapazität, also die antivirale Wirksamkeit, des untersuchten Antikörpers mit deutlich über 90 Prozent sehr hoch ist. Damit eignet er sich theoretisch zur Prävention und Therapie einer HIV-Infektion.»
Zugleich mahnt Spinner zur Vorsicht:
«Bei der Arbeit handelt es sich um in vitro Labordaten, sodass die Wirksamkeit nicht direkt in das echte Leben (in vivo) übertragen werden kann. Im Grunde ist die Studie mit der Identifikation des Antikörpers die Grundlage für jetzt notwendige Studien zur Dosisfindung, Verträglichkeit und Wirksamkeit des Antikörpers. Das heisst auch, selbst wenn die ersten Ergebnisse vielversprechend sind, dass noch ein langer Weg zur potenziellen klinischen Nutzbarkeit liegt.»
Auch die Schweizer Virologin Prof. Dr. Alexandra Trkola, Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie an der Universität Zürich, hob die aussergewöhnliche Breite der Wirkung hervor:
«Das Team um Florian Klein hat mit dem Antikörper 04_A06 einen äusserst potenten Antikörper entdeckt, der eine breite Neutralisationswirkung gegen HIV-1 hat.»
Trkola betonte, dass der Wirkstoff selbst bei Virusvarianten aktiv blieb, die gegen ähnliche Antikörper resistent sind. «04_A06 ist definitiv ein ausserordentlich potenter Vertreter dieser Gruppe und hat deswegen grosses Potenzial für einen therapeutischen Einsatz. Sowohl für die Anwendung in der Prävention als auch therapeutisch».
Ob der Kölner Antikörper den Sprung in die klinische Anwendung schafft, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Doch schon jetzt gilt er als einer der stärksten Kandidaten im weltweiten Kampf gegen das Virus.