Kortisonpräparate werden schon seit Langem gegen eine ganze Reihe von entzündlichen Erkrankungen eingesetzt, darunter Autoimmunkrankheiten wie die rheumatoide Arthritis. Und sie wirken: Kortisonpräparate helfen gegen die Entzündung in den Gelenken, mindern Schmerzen und lindern die krankheitsbedingte körperliche Behinderung. Ausserdem werden die Gelenke deutlich weniger geschädigt.
Kortison wird entgegen Leitlinien verwendet
«Weil Kortisonpräparate so gut gegen die rheumatoide Arthritis helfen, nehmen 30 bis 50 Prozent der Betroffenen sie auch zwei Jahre nach der Diagnose noch – und zwar entgegen den aktuellen medizinischen Leitlinien und Empfehlungen», erklärt Dr. Andriko Palmowski, Erstautor der Studie. «Die Leitlinien und Empfehlungen raten eigentlich, Kortison – wenn überhaupt – nur vorübergehend zu verabreichen, weil sonst relevante Nebenwirkungen zu befürchten sind.» Allerdings: Viele dieser Nebenwirkungen sind für die früher viel häufiger verabreichten hohen Kortisondosierungen gut belegt, für die heute bevorzugten geringeren Mengen ist die Datenlage weniger eindeutig. Dr. Palmowski: «So genau wissen wir also gar nicht, wie stark die Nebenwirkungen bei niedrig dosierten Kortisonpräparaten sind.»
In der Vergangenheit hatten einige Beobachtungsstudien beispielsweise darauf hingedeutet, dass eine langfristige Einnahme von geringen Mengen Kortison bei rheumatoider Arthritis den Blutdruck ansteigen lässt und zu einer Gewichtszunahme führt. «Allerdings haben Beobachtungsstudien aufgrund verschiedener verzerrender Effekte nur eine begrenzte Aussagekraft», betont Prof. Dr. Frank Buttgereit, Leiter der Studie. «Für eine stärkere Beweiskraft benötigt man ein höherwertiges Untersuchungsdesign, die randomisierten kontrollierten Studien.» Von dieser Art der Studien gab es zwar schon eine Handvoll. Für eine statistisch verlässliche Analyse der beiden Nebenwirkungen hatte jede für sich genommen jedoch zu wenige Patienten eingeschlossen.
Charité-Studie analysiert Daten von über 1100 Personen
Das Charité-Forschungsteam holte deshalb von fünf der bereits abgeschlossenen randomisierten kontrollierten Studien die Messwerte zu Blutdruck und Körpergewicht ein und analysierte diese gemeinsam. So kamen Daten von insgesamt mehr als 1100 Menschen mit rheumatoider Arthritis aus zwölf europäischen Ländern zusammen, die über zwei Jahre hinweg niedrig dosierte Kortisonpräparate oder ein Scheinpräparat beziehungsweise Kontrollmedikamente erhalten hatten. Alle Patienten hatten zudem, wie üblich, eine dauerhafte Begleitmedikation zur besseren Eindämmung der Erkrankung bekommen.
Das Ergebnis:
- Unter der Kortisontherapie veränderte der Blutdruck sich nicht signifikant,
- und die Betroffenen nahmen im Schnitt nur 1,1 Kilogramm mehr zu als die Teilnehmer in der Kontrollgruppe.
- Ähnliches galt auch für Risikopatienten, die zu Studienbeginn bereits übergewichtig waren oder einen hohen Blutdruck hatten.
«Die Ergebnisse unserer Studie machen die Leitlinien nicht obsolet, denn Glukokortikoide können auch andere schwerwiegende Nebenwirkungen wie Osteoporose, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder eine Neigung zu Infektionen mit sich bringen», resümiert Prof. Buttgereit. «Aber für viele Rheuma-Betroffene und auch ihre behandelnden Ärzte ist die Sorge vor einem Blutdruckanstieg und einer Gewichtszunahme ein wichtiges Entscheidungskriterium für oder gegen eine Kortisontherapie. Das sollte sie jedoch nicht sein, weil beide Effekte – wie unsere Ergebnisse zeigen – keine grosse Relevanz haben. Stattdessen sollte die Entscheidungsfindung eher die anderen Nebenwirkungen in den Blick nehmen.»PS