Bei rund einem Viertel der Betroffenen mit einer schmerzhaften diabetischen Polyneuropathie lagen sowohl Nervenschmerzen als auch Muskulatur-bedingte Schmerzen vor. Eine weitere wichtige Erkenntnis: Diese Patienten hatten deutlich stärkere körperliche und psychische Beeinträchtigungen als die Betroffenen mit ausschliesslich Nerven-bedingten Schmerzen. Die Forschenden plädieren daher für ein routinemässiges Screening nach Muskel-bedingten Schmerzen. Dies könnte bei vielen Patienten Diagnostik und Therapie verbessern.
«Unsere Erkenntnisse zu den Schmerzursachen bei der diabetischen Polyneuropathie sind für die Betroffenen von grosser Bedeutung. Sie eröffnen die Möglichkeit für kausale, personalisierte Therapieoptionen und einen gezielteren Einsatz von sowohl nichtmedikamentösen als auch medikamentösen Behandlungsstrategien», erläutert Univ.-Prof. Dr. Frank Birklein von der Universitätsmedizin Mainz.
Unter der Leitung von Professor Birklein untersuchte die Arbeitsgruppe «Schmerz – Autonomes Nervensystem» der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universitätsmedizin Mainz insgesamt 69 Betroffene mit einer durch Diabetes mellitus Typ 2 bedingten diabetischen Polyneuropathie. Diese ging bei 41 Patienten mit Schmerzen einher. Um die individuellen Beeinträchtigungen der Teilnehmenden zu erfassen, führten die Forschenden eine umfassende klinische Untersuchung durch, bei der neben standardisierten Tests auch eine umfassende Untersuchung des sensiblen Phänotyps und der endogenen Schmerzmodulation erfolgte. Zur Beurteilung der Schmerzen wurden zusätzlich auch Fragebögen zur Selbstbeurteilung von depressiven Symptomen, Angstsymptomen und zu polyneuropathiebedingten Beeinträchtigungen eingesetzt.
Aktive Muskeltriggerpunkte
Das Ergebnis: Alle 41 Patienten mit schmerzhafter diabetischer Polyneuropathie erfüllten die Kriterien für neuropathische Schmerzen. Bei 22 Prozent von ihnen wurde zusätzlich eine weitere Schmerzform festgestellt, die ihre Ursache in der Muskulatur hat: Die myofaszialen Schmerzen sind durch aktive Muskeltriggerpunkte gekennzeichnet. Diese Verhärtungen im Muskelgewebe lösen beim direkten Abtasten oder bei körperlicher Belastung Schmerzen aus. Bei den untersuchten Betroffenen befanden sich die schmerzhaften Muskeltriggerpunkte in den vorderen oder hinteren Wadenmuskeln und in den kleinen Fusssohlenmuskeln. Bei 89 Prozent der Teilnehmenden traten sie beidseitig auf. In den überwiegenden Fällen (78 Prozent) waren sie symmetrisch ausgeprägt.
Mit Hinblick auf die körperlichen und psychischen Auswirkungen der diabetischen Polyneuropathie unterschieden sich die Patienten mit einer zusätzlichen myofaszialen Schmerzkomponente deutlich von den Betroffenen mit ausschliesslich neuropathischen Schmerzen: Die Teilnehmenden mit beiden Schmerzformen zeigten eine höhere Schmerzintensität und eine schlechtere Schmerztoleranz. Darüber hinaus wiesen sie höhere Angst- und Depressionswerte auf und berichteten über stärkere Polyneuropathie-bedingte Beeinträchtigungen bei Aspekten wie Schlaf, sozialen Beziehungen oder Gehfähigkeit.
Therapie den unterschiedlichen Ursachen anpassen
Bisher werden Schmerzen bei diabetischer Polyneuropathie meist neuropathisch begründet. Das heisst, als Schmerzursache wird allein die Schädigung des Nervensystems angenommen. Auch die Therapie und die Entwicklung von neuen Behandlungsoptionen gegen Schmerzen bei diabetischer Polyneuropathie erfolgt gezielt für diese Schmerzform. Mögliche weitere individuelle Komponenten wie Schmerzursachen im Gewebe, in den Knochen oder in den Muskeln werden dagegen bisher nicht standardmässig berücksichtigt. Dies führt zu sehr heterogenen und in vielen Fällen nur mässigen Therapieerfolgen.
«Ausgehend von unseren Untersuchungsergebnissen empfehlen wir bei Patienten mit einer schmerzhaften diabetischen Polyneuropathie sowohl bei der individuellen Behandlung als auch im Rahmen von Arzneimittelstudien ein routinemässiges Screening nach myofaszialen Schmerzen. Durch eine Anpassung der klinischen Untersuchung wäre dies in der Praxis leicht umzusetzen. Auf diese Weise könnten zukünftig deutlich verbesserte Therapieerfolge erzielt werden», betont der korrespondierende Autor PD Dr. Christian Geber.PS