Die Ursachen demenzieller Erkrankungen umfassen nicht nur die hohe und weiter steigende Lebenserwartung und genetische Faktoren, sondern sind zu einem grossen Teil auch in modifizierbaren Risikofaktoren zu suchen. Die rechtzeitige adäquate Behandlung/Vermeidung dieser Risikofaktoren könnte laut einem Bericht der Lancet Commission 2020 (2) bis zu 40% aller Demenzerkrankungen verhindern.
- Die zwölf bisher bekannten Faktoren sind: ein niedriger Bildungsstand, Bluthochdruck, Schwerhörigkeit, Rauchen, Übergewicht, Depressionen, körperliche Inaktivität, Diabetes mellitus, wenig Sozialkontakt, exzessiver Alkoholkonsum, Schädel-Hirn-Traumen und Luftverschmutzung. Auch der Schlaf scheint eine wichtige Rolle bei der Entwicklung einer Demenz zu spielen. Weitere Risikofaktoren werden erforscht.
Populationsbasierte Kohortenstudie
Eine grosse prospektive, populationsbasierte Kohortenstudie analysierte nun den Zusammenhang zwischen der Anwendung verschiedener Laxanzien und dem Demenzrisiko (1).
Die Daten entstammen einer Biobank aus UK (˃500 000 Freiwillige, 40-69 Jahre), die Teilnehmer waren zu Studienbeginn nicht an Demenz erkrankt. Als chronischer Laxanziengebrauch galt eine Einnahme an den meisten Tagen einer Woche in den vier Wochen vor der Studienaufnahme (im Zeitraum 2006-2010). Outcome war die Diagnose einer Demenz jeglicher Ursache (laut Klinikstatistiken und Sterberegister bis 2020). Statistisch adjustiert wurden die Ergebnisse hinsichtlich soziodemografischer Merkmale, Begleiterkrankungen, Familienanamnese und sonstiger regelmässiger Medikamenteneinnahme.
- Insgesamt konnten 502 229 Teilnehmer ausgewertet werden (mittleres Alter 56,5±8,1 Jahre; 54,4% weiblich); von diesen nahmen 18 235 (3,6%) regelmässig Abführmittel. Die Nachbeobachtung betrug durchschnittlich 9,8 Jahre.
- In dieser Zeit erhielten 1,3% der Teilnehmer, die regelmässig Abführmittel eingenommen hatten, eine Demenzdiagnose – jedoch nur 0,4% der Teilnehmer, die nicht davon Gebrauch machten.
- Statistisch errechnete sich bei regelmässigem Laxanziengebrauch ein signifikant erhöhtes Demenzrisiko von 50% (HR 1,51).
- Der Abführmittelgebrauch war dabei signifikant mit der Entstehung vaskulärer Demenzen assoziiert (HR 1,65), nicht jedoch mit der Alzheimer-Demenz (HR 1,05).
- Das Risiko für Demenzen insgesamt sowie für die vaskuläre Demenz stieg mit der Zahl der eingenommenen unterschiedlichen Laxanzien an.
- Von den Teilnehmern, die angaben, nur eine Sorte Abführmittel zu nehmen (n=5.800), war nur die Gruppe der osmotisch wirksamen Abführmittel signifikant mit dem allgemeinen Demenzrisiko (HR 1,64) und dem für Demenzen vaskulärer Ursache (HR 1,97) assoziiert.
Osmotische Abführmittel ziehen Wasser in das Darmlumen, was den Stuhl verdünnt. Bei einem zu häufigen Gebrauch oder bei zu hohen Dosen kann es zu einem gestörten Mineralstoff- und Wasserhaushalt kommen.
Veränderung des Mirkobioms mit Folgen verbunden
Doch wie können Abführmittel das Demenzrisiko beeinflussen? Über die Darm-Hirn-Achse kommunizieren Darm und Gehirn. Bekannt ist, dass eine gestörte Darmflora diese Signalübertragung und sogar die Produktion von Neurotransmittern beeinflussen kann (3) – und eine Studie zeigte bereits 2018, dass osmotisch wirksame Laxanzien das Mikrobiom verändern (4). Abführmittel können auch die Epithelbarrieren des Darms stören und den Übergang von aus dem Darmmikrobiom stammenden neurotoxischen Stoffwechselprodukten in das zentrale Nervensystem erleichtern und inflammatorische Prozesse begünstigen.
«Die Studie ist keine randomisierte-kontrollierte Studie, daher nicht beweisgebend, dass Abführmittel das Demenz-Risiko tatsächlich erhöhen. Weitere Untersuchungen sind notwendig. Dennoch raten wir angesichts des Ergebnisses zur Vorsicht im Umgang mit Laxanzien, gerade vor dem Hintergrund, dass Demenzerkrankungen immer weiter zunehmen», erklärt DGN-Generalsekretär und -Pressesprecher Prof. Dr. Peter Berlit.
Ernährung umstellen, auf Abführmittel verzichten
Nach Ansicht des Experten könnten viele Menschen auf Abführmittel verzichten, wenn sie ihre Ernährung umstellten und mehr Ballaststoffe, enthalten in Obst, Gemüse und Vollkornprodukten, und vor allem auch ausreichend Flüssigkeit in Form von Wasser oder ungesüssten Tee zu sich nehmen würden. «Eine solche Ernährungsumstellung hat womöglich gleich eine doppelte Schutzwirkung gegen Demenz: Zum einen lässt sich in vielen Fällen auf Abführmittel verzichten, die einen potenziell schädigenden Einfluss auf die Hirngesundheit haben, zum anderen gilt eine gesunde Ernährung per se als wichtige Säule der Demenzprävention. Für den Erhalt der geistigen Funktion bis ins hohe Alter lohnt es sich in jedem Fall, seine Ernährung umzustellen!»PS
Literatur
- Yang Z, Wei C, Li X et al. Association Between Regular Laxative Use and Incident Dementia in UK Biobank Participants. Neurology 2023 Feb 22;10.1212/WNL.0000000000207081.
- Livingston G, Huntley J, Sommerlad A et al. Dementia prevention, intervention, and care: 2020 report of the Lancet Commission. Lancet 2020 Aug 8; 396 (10248): 413-446.
- Luc M, Misiak B, Pawlowski M et al. Gut microbiota in dementia. Critical review of novel findings and their potential application. Prog Neuropsychopharmacol Biol Psychiatry 2021; 104: 110039.
- Lukiw WJ, Li W, Bond T et al. Facilitation of Gastrointestinal (GI) Tract Microbiome-Derived Lipopolysaccharide (LPS) Entry Into Human Neurons by Amyloid Beta-42 (Abeta42) Peptide. Front Cell Neurosci 2019.