Die
Fallberichtsstudie eines Säuglings mit einer seltenen Stoffwechselkrankheit ist in
«The New England Journal of Medicine
» erschienen. Zeitgleich wurde sie in einem Vortrag auf der 28. Jahrestagung der American Society of Gene & Cell Therapy vorgestellt.
Fallbericht eines Säuglings mit CPS1-Mangel
Der Säugling wurde mit der seltenen Stoffwechselerkrankung Carbamoylphosphat-Synthetase-1(CPS1)-Mangel geboren. CPS1 ist ein Enzym in der Leber, das im Harnstoffzyklus eine entscheidende Rolle spielt.
Eine Mutation kann zu einem krankhaft erhöhten Ammoniumgehalt im Blut führen, der wiederum zu neurologischen Schäden, Entwicklungsstörungen und sogar Todesfällen im Neugeborenenalter führen kann.
Restriktive Diät als erster Therapieversuch
Der Säugling entwickelte bereits innerhalb der ersten zwei Tage nach der Geburt schwerwiegende Symptome, die für einen CPS1-Mangel typisch sind. Zudem waren die Ammoniumwerte im Blut deutlich erhöht.
Das Kind wurde sofort auf eine restriktive Diät gesetzt, bei der unter anderem die Proteinmenge limitiert ist. Die Forschenden identifizierten in beiden CPS1-Allelen des Jungen eine Punktmutation, wodurch er zwei verkürzte und dysfunktionale CPS1-Varianten bildete.
Innerhalb der folgenden Monate entwickelten die Forschenden einen Geneditierungs-Ansatz, der in Zellkultur, Mausexperimenten und Versuchen mit Affen auf Wirksamkeit und Sicherheit getestet wurde.
Gentherapie 208 Tage nach Geburt
208 Tage nach Geburt erhielt das Baby seine erste Behandlung mit der Gentherapie. Anschliessend konnte der Proteingehalt in der Nahrung das Babys erhöht werden. Daraus lässt sich schliessen, dass die Gentherapie erfolgreich war und die funktionale Version von CPS1 – zumindest in einigen Leberzellen – gebildet wird.
«Diese rasche Entwicklung einer massgeschneiderten CRISPR-Therapie für einen einzelnen Patienten, einen sogenannten ,n=1 (oder N-of-1) Fall‘, ist ein Meilenstein der Geneditierung und der Gen- und Zelltherapie im Allgemeinen.»
Prof. Dr. Julian Grünewald, Assistant Professor für Gene Editing, Technische Universität München (TUM).
Die Gentherapie beruht auf dem sogenannten Base-Editing. Diese Methode baut auf der Idee der Genschere CRISPR/Cas9 auf. Der Komplex aus zwei modifizierten Proteinen und einer spezifischen RNA-Vorlage kann präzise an einer bestimmten Stelle im Erbgut einen einzelnen DNA-Baustein (Base) verändern – hier die Mutation im CPS1-Gen. Im Gegensatz zu CRISPR/Cas9 verändert der Komplex das Erbgut, ohne dabei beide DNA-Stränge zu schneiden, deren Reparatur häufig zu unkontrollierten Fehlern führt.
Nanopartikel statt Adenoviren
Eine weitere Besonderheit des in der Studie verwendeten Therapieansatzes ist, dass der Base-Editing-Komplex mithilfe von Nanopartikeln zur Leber transportiert wird. Andere Gentherapien verwenden Adeno-assozierte Viren (AAV) als Transporter, um zu den Zellen des Zielorgans zu gelangen.
Bei der Verwendung von AVV besteht allerdings der Nachteil, dass die Therapie nur einmalig gegeben werden kann, weil das Immunsystem bei einer weiteren Anwendung auf die Adeno-assozierten Viren abwehrend reagiert und so das Überbringen der Gentherapie verhindert wird.
Mithilfe der Nanopartikel konnte der Junge 22 Tage nach der ersten Behandlung eine weitere Infusion mit einer höheren Therapiedosis erhalten.
Erste Erfolge, aber noch keine Langzeitdaten
Wie viele Zellen mit der Gentherapie tatsächlich erreicht wurden, können die Forschenden nicht ermitteln, da hierfür eine Biopsie der Leber des Jungen erforderlich wäre. Allerdings konnte der Patient im Anschluss an die Therapie eine erhöhte Menge an Nahrungseiweiss zu sich nehmen und seine Medikation konnte etwa auf die Hälfte der Anfangsdosis reduziert werden.
«Auch wenn der Beobachtungszeitraum mit sieben Wochen kurz ist, sind die Ergebnisse vielversprechend. Die nachgewiesene Wirksamkeit, die gute Verträglichkeit und die Möglichkeit wiederholter Gaben des Medikamentes machen die Basen-editierende Gentherapie, die durch Lipid-Nanopartikel in die Zellen eingebracht wird, zu einer individualisierten Therapie mit grossem Potenzial».
Prof. Dr. Maja Hempel, Leiterin der Genetischen Poliklinik und stellvertretende Ärztliche Direktorin des Instituts für Humangenetik, Universitätsklinikum Heidelberg.
Zudem überstand der Patient zwei virale Infektionen ohne eine hyperammonämische Krise (krankhaft erhöhten Ammoniumgehalt im Blut) und konnte während der Infektionen seine Protein-Diät ohne erneute Reduzierung fortsetzen. Aufgrund der bisherigen kurzen Nachbeobachtungszeit von sieben Wochen können keine endgültigen Aussagen zur Sicherheit und Effizienz der Therapie getroffen werden.