Long-COVID ist ein noch unverstandenes Phänomen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Erkrankung mit bis zu 200 unterschiedlichen Symptomen einhergehen kann, etwa Fatigue, Konzentrationsstörungen oder starken Schmerzen. Trotzdem sind die Untersuchungsbefunde meistens völlig normal. Daher setzt die Wissenschaft grosse Hoffnung in die Entdeckung von Biomarkern, mit deren Hilfe es gelingen soll, Menschen mit Long-COVID eindeutig zu identifizieren.
Cortisol und Zytokine als potenzielle Biomarker
Neuere wissenschaftliche Veröffentlichungen berichteten, dass insbesondere das Aktivitätshormon Cortisol und Zytokine geeignete Biomarker bei Long-COVID sein könnten. Laut diesen Studien ist die Konzentration von Cortisol im Blut Long-COVID Betroffener deutlich niedriger als bei Gesunden, die Menge an entzündungsfördernden Zytokinen ist dagegen erhöht. Die Messung solcher Blutwerte hätte es den behandelnden Ärzte zukünftig möglich gemacht, die Diagnose Long-COVID rasch und sicher zu stellen. Diese hoffnungsvollen Ergebnisse konnte ein Forschungsteam des Universitätsklinikums Essen in einer aktuellen Studie nun nicht bestätigen.
Keine Unterschiede zwischen den Gruppen
Die Wissenschaftler bestimmten die Blutwerte von Cortisol und der Zytokine TNFalpha, Interleukin-1beta und Interleukin-6 in vier verschiedenen Gruppen an insgesamt 130 Teilnehmern:
- Menschen, die nie eine SARS-CoV-2-Infektion gehabt hatten;
- Menschen, die eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht hatten, aber kein Long-COVID entwickelten;
- Menschen, die Long-COVID hatten, aber wieder vollständig davon genesen waren und
- Menschen mit anhaltendem Long-COVID.
Die Ergebnisse waren überraschend – alle gemessenen Werte lagen im Normbereich, und es gab keinerlei Unterschiede zwischen den genannten Gruppen.
«Leider konnten wir nicht bestätigen, dass Cortisol und einige der wichtigsten Entzündungsbotenstoffe alltagstaugliche Biomarker bei Menschen mit Long-COVID sind. Diese Nachricht ist für die Betroffenen sicher enttäuschend, passt allerdings zu unseren früheren Untersuchungen, dass es sich bei Long-COVID nicht um eine körperliche Erkrankung im engeren Sinne handelt, sondern die Psyche eine grosse Rolle spielt», fasst Prof. Christoph Kleinschnitz, Direktor der Klinik für Neurologie und federführender Autor der Studie, zusammen.
«Die Ergebnisse zeigen das Dilemma der medizinischen Forschung: Während es wichtig ist, Studienergebnisse anderen Forschenden zugänglich zu machen, stehen auf der anderen Seite Patienten, bei denen unter Umständen zu grosse Hoffnungen auf Diagnose- oder Therapiemöglichkeiten geweckt werden», erklärt Dr. Michael Fleischer, Facharzt für Neurologie am UK Essen. Dennoch sei es sinnvoll, bei Long-COVID auch zukünftig nach Faktoren zu suchen, die die Erkrankung begünstigen. «Hier werden wir uns insbesondere auf den psychischen Bereich konzentrieren, da erste Therapiestudien nahelegen, dass viele Long-COVID Betroffene gut von einer Psychotherapie profitieren», so Prof. Kleinschnitz.PS