Antworten auf diese Frage liefert jetzt ein Forschungsteam der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster. In einer Studie nahm die Arbeitsgruppe die häufigste chronisch-entzündlichen Erkrankung des zentralen Nervensystems in den Blick: die Multiple Sklerose (MS).
Der Regelfall nach Verabreichung eines mRNA-Impfstoffes ist, dass der Organismus Antikörper und spezialisierte T-Gedächtniszellen bildet; beide arbeiten für eine optimale Virusabwehr zusammen. Die Wissenschaftler untersuchten Blutproben von Patienten mit MS, die mit Interferon-beta, Natalizumab oder Ocrelizumab behandelt wurden. Dabei zeigte sich:
- Wer Interferon-beta erhält, entwickelt eine normale Impfreaktion und ist ähnlich gut vor Covid-19 geschützt wie gesunde Studienteilnehmer.
- Anders MS-Patienten unter Natalizumab oder Ocrelizumab: Bei ihnen waren unterschiedliche Komponenten der Immunantwort auf die mRNA-Impfung geringer ausgeprägt. Das könnte auf einen verringerten Schutz hindeuten.
Jeweils eine Komponante der Immunabwehr geschwächt
So hatten mit Natalizumab behandelte Patienten zwar normale Mengen an Antikörpern gegen das Coronavirus im Blut, allerdings erfüllten die T-Gedächtniszellen ihre Funktion nicht optimal. Eigentlich sollen die sich das SARS-CoV2-Virus nach der Impfung «merken» und es bekämpfen, sobald der Körper infiziert wird.
In der Ocrelizumab-Gruppe verhielt es sich genau anders herum: Patienten bauten kaum schützende Antikörper gegen SARS-CoV-2 auf. Mit den T-Zellen reagierte das Immunsystem dagegen einwandfrei auf das eindringende Virus. In beiden Fällen war also nur ein Partner des Tandems aus zellulärer und Antikörper-vermittelter Immunantwort geschwächt; da der jeweils andere auf die Impfung reagierte, war die Immunisierung nicht wirkungslos.
«Alle Patienten konnten ihre Immunabwehr durch die mRNA-Impfung stärken. Sie erreichten dabei allerdings nicht immer denselben Schutz wie eine gesunde Person», resümiert Susan Trümpelmann, die die Studie massgeblich durchgeführt hat. Letztlich bleibe aber noch offen, ob diese partielle Einschränkung der Immunantworten gegen SARS-CoV-2 das Risiko einer Covid-Infektion tatsächlich erhöht. «Auf Basis unserer Erkenntnisse können jetzt zusätzliche Sicherheitskonzepte für die Betroffenen erarbeitet werden», empfiehlt Prof. Luisa Klotz, Oberärztin an der Klinik für Neurologie der Uniklinik Münster. Dabei spiele die vierte Impfung eine wichtige Rolle: MS-Patienten, die Natalizumab erhalten, könnten in besonderem Mass von der Auffrischungsdosis profitieren, da diese die Ausbildung von T-Gedächtniszellen unterstütze.
Bei MS-Patienten mit einer Ocrelizumab-Therapie kommt es laut dem Studienteam es auf das Timing an. Das Medikament wird üblicherweise alle sechs Monate als Infusion verabreicht. Es verringert die Zahl der B-Zellen deutlich, was wiederum den Impfschutz einschränkt. Doch die Wirkung von Ocrelizumab lässt mit der Zeit nach, sodass wieder geringe Mengen an B-Zellen zur Verfügung stehen, mit denen das Immunsystem auf die Impfung reagieren kann. Prof. Klotz: «Ist eine Immunisierung geplant, liesse sich das Intervall zwischen zwei Infusionen verlängern. Diese Zeit kann das Immunsystem nutzen, um mehr B-Zellen und damit eine virusspezifische Antikörper-Antwort auszubilden».PS