Die Raumkognition umfasst die Fähigkeit, einen Raum zu erkunden, sich darin zu orientieren und entsprechend zu handeln. Raumkognitionsstörungen wie Neglect können nach Schädigungen (Schlaganfall, Tumor) der rechten Hirnhälfte auftreten und haben weitreichende Auswirkungen auf die Lebensqualität der Betroffenen. Eine zielgerichtete Diagnose und frühzeitige Behandlung sind daher von entscheidender Bedeutung.
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) hat nun einen neuen Leitfaden zur Diagnose und Therapie von Neglect und weiteren Raumkognitionsstörungen veröffentlicht. Sie enthält neue Vorschläge für das therapeutische Vorgehen und eine zeitliche Reduktion des gängigen Explorationstrainings. Die S2k-Leitlinie wurde in internationaler Zusammenarbeit erstellt und löst die vorherige S1-Leitlinie «Rehabilitation bei Störungen der Raumkognitio»" von 2017 ab.
Interdisziplinäre Behandlung im Fokus
Die Behandlung des Neglects erfolgt im interdisziplinären Behandlungsteam und umfasst
- neuropsychologische,
- ergotherapeutische,
- physiotherapeutische und
- sozialdienstliche Aspekte.
Die Leitlinie empfiehlt dabei aktives Explorieren und Orientieren zur kontralateralen Seite, langsame Folgebewegungen zur kontralateralen Seite und Nackenmuskelvibration. Neu hinzu kommt die kontinuierliche Theta Burst Stimulation (cTBS) in Kombination mit zumindest einem weiteren Trainingsverfahren. Diese Empfehlungen basieren auf einer Reihe neuester randomisierter-kontrollierter Studien. Darüber hinaus wurde die Leitlinie um den Einsatz von «Augmented Reality»- und «Virtual Reality»-Verfahren ergänzt.
«Ein Neglect oder eine andere Störung der Raumkognition hat für die Betroffenen ebenso weitreichende Folgen wie eine Sprachstörung und kann die selbstständige Bewältigung des Alltags unmöglich machen», weiss Prof. Karnath, der von der DGN beauftragte Leitlinienkoordinator. Dies unterstreiche die Notwendigkeit einer zielgerichteten Diagnostik und Behandlung von Störungen der Raumkognition bereits im frühen Stadium nach einer Hirnläsion. Der Experte hofft darauf, dass sich die Studienlage zukünftig noch weiter verbessern wird, denn für Verfahren zur Behandlung anderer, z. T. seltenerer und heterogener Störungen der Raumkognition liegen bisher nur Einzelfall- bzw. Kleingruppenstudien vor: «Für alle Störungen der Raumkognition wären randomisierte, kontrollierte, multizentrische Studien mit höheren Fallzahlen wünschenswert. Auch sollten langfristige Therapieeffekte häufiger untersucht werden, um Verbesserungen bei Alltagsleistungen zu erzielen.»PS
Beteiligte Partnergesellschaften
Die Österreichische Gesellschaft für Neurologie (ÖGN), die Schweizerische Neurologische Gesellschaft (SNG), die Gesellschaft für Neuropsychologie (GNP), die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGP), der Deutsche Verband Ergotherapie e. V. (DVE), der Deutsche Verband für Physiotherapie (ZVK), die Deutsche Gesellschaft für Neurorehabilitation e. V. (DGNR), die Schweizerische Gesellschaft für Neurorehabilitation (SGNR), der Bundesverband ambulanter medizinischer Rehabilitationszentren (BamR), der Berufsverband Deutscher Neurologen (BDN) und die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe.