Die Zahl demenzkranker Menschen nimmt weltweit zu – in Deutschland leben heute ca. 1,6 Mio. Demenzkranke – und bis 2050 werden es schätzungsweise 2,8 Mio. sein [3]. In der Schweiz leben etwa 150 000 demenzkranke Menschen und jährlich kommen rund 32 200 Neuerkrankungen hinzu (2022) (
Quelle: BAG).
Beeinflussbare Risikofaktoren
Dies liegt nicht nur an der sich verändernden Altersstruktur der Gesellschaft bzw. der zunehmenden Lebenserwartung. Neben genetischer Veranlagung und dem Alter per se sind schon lange verschiedene beeinflussbare Risikofaktoren bekannt, die langfristig zum Verlust kognitiver Fähigkeiten bzw. zur Entwicklung einer Demenz beitragen. Umgekehrt kann die konsequente Vermeidung aller bekannten modifizierbaren Risikofaktoren nachweislich über 30% der Demenzfälle verhindern [4, 5].
Neue Daten rücken nun zwei bislang wenig bekannte – und dabei jedoch sehr einfach zu korrigierende - Faktoren in den Fokus der Demenzprävention: Dies sind ein schlechtes Hörvermögen und eine ungesunde Ernährung bzw. zu grosse Mengen hochprozessierter Nahrungsmittel.
Hörminderung mit Demenzinzidenz assoziiert
Hörminderung und Hörverlust sind signifikant mit dem Rückgang kognitiver Fähigkeiten und der Demenzinzidenz assoziiert. Ob im Umkehrschluss der Einsatz von Hörhilfen (Hörgeräte oder Cochlea-Implantate) positive Effekte auf die Kognition haben, untersuchte nun eine grosse Metaanalyse [1]. Von 3.243 gescreenten Studien wurden insgesamt die Daten von 137.484 Teilnehmenden aus 31 randomisierten oder Beobachtungsstudien ausgewertet. Die Dauer des Follow-ups betrug bis zu 25 Jahre.
Hörhilfen senken das Risiko
Das Ergebnis zeigte, dass die Verwendung von Hörhilfen verglichen mit Teilnehmenden ohne entsprechende Geräteversorgung langfristig mit einem signifikanten, um 19% niedrigeren Risiko für jede Art des kognitiven Abbaus einherging (HR 0,81). Ausserdem belegten elf Studien (n=568) eine Assoziation zwischen hörverbessernden Massnahmen und einer Verbesserung kognitiver Scores um 3% bereits bei kurzfristigen Kontrollen kognitiver Tests.
Hochprozessierte Lebensmittel fördern Demenzentwicklung
Die zweite Studie [2] untersuchte die Assoziation von Demenzentwicklung und dem Verzehr sogenannter hochprozessierter Lebensmittel. Darunter fallen solche mit einem hohen Grad an industrieller Verarbeitung, d. h. mit Zusatzstoffen, die in frischer Nahrung nicht enthalten sind. Zum einen sind das
- die typischen «Ready-to-eat»- und «Ready-to-heat»-Produkte, aber auch
- Süsswaren,
- Softdrinks oder
- Fertigsaucen
fallen in diese Kategorie.
Obwohl Zusammenhänge zwischen dem Verzehr ultraprozessierter Lebensmittel und dem Risiko für kardiovaskuläre und metabolische Erkrankungen beschrieben sind, war bisher nur wenig bekannt über die Bedeutung für die Kognition.
Beamte aus sechs brasilianischen Städten im Alter zwischen 35 und 74 Jahren nahmen an der multizentrischen, prospektiven longitudinalen Kohortenstudie (2008 bis 2017) teil. Zu Beginn erhielten sie Fragebögen zu ihren Ernährungsgewohnheiten. Individuen mit extrem niedriger oder hoher Kalorienzufuhr (<600 oder >6000 kcal/Tag) und Personen mit Einnahme von Medikamenten, die kognitive Tests beeinflussen könnten, wurden ausgeschlossen. Die tägliche Aufnahme hoch-prozessierter Nahrung wurde prozentual zur Gesamtzufuhr ermittelt und in Quartilen eingeteilt. Kognitive Veränderungen wurden im Verlauf durch unterschiedliche Sprach- und Gedächtnistests evaluiert. Insgesamt 10 775 Teilnehmende einer ethnisch gemischten Population mit einem mittleren Alter von 51,6±8,9 Jahren (zu Studienbeginn) wurden analysiert; 54,6% waren weiblich und 56,6% hatten mindestens einen College-Abschluss.
Während einer medianen Nachbeobachtungszeit von 8 (6-10) Jahren hatten Teilnehmende mit einem Verzehr von hochprozessierter Nahrung oberhalb der ersten Quartile (gegenüber denjenigen, deren Verzehrmenge in der ersten Quartile lag) einen signifikanten, um 28% schnelleren Rückgang globaler kognitiver Fähigkeiten (p=0,003) und einen um 25% schnelleren Verlust von Exekutivfunktionen (p=0,01).
Demenz-Risikofaktoren vermeiden
«Dass Demenzprävention überhaupt möglich ist, ist bisher in unserer Gesellschaft noch gar nicht richtig angekommen – nicht bei jedem Einzelnen, besonders nicht in jungen Altersgruppen, auch nicht bei allen Ärzten», erklärt DGN-Generalsekretär Prof. Dr. Peter Berlit.
«Hirngesundheit ist ein extrem wichtiges Thema – für uns alle. Wir sollten konsequent die bekannten Demenz-Risikofaktoren vermeiden. Wie die aktuellen Studien zeigen, ist der positive Effekt, den Hörhilfen zur Korrektur von Schwerhörigkeit und eine gesunde, frisch zubereitete Kost auf unsere kognitive Gesundheit haben, sehr hoch. Wir möchten daher die Bevölkerung auf diese Präventionsmassnahmen, die im Alltag leicht umzusetzen sind, hinweisen.»PS