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Wie kann die Benutzerfreundlichkeit eines Praxisinformationssystems bewertet werden?

Die Auswahl eines Praxisinformationssystems (PIS) ist eine komplexe Entscheidung. Zentrale Bedeutung kommt dabei der Bewertung der Benutzerfreundlichkeit zu. Sie bestimmt, in welchem Masse die Ziele einer Praxis unter Einsatz der Software effektiv, effizient und zur Zufriedenheit erreicht werden. Der Praxisberater Jakob Tiebel erläutert, was bei der Evaluation der Benutzerfreundlichkeit zu beachten ist.

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Fehlende Nutzerzentrierung hemmt die Freude am Einsatz der Software
Harzt es an der Mensch-Maschine-Schnittstelle, kann Informationstechnologie (IT) schnell zu Frustration führen. Das belegt eine Beobachtungsstudie an 15 505 Beschäftigten im Gesundheitswesen. Ein Drittel aller Gesundheitsfachpersonen erlebt an drei bis fünf Tagen pro Woche Frustration im Umgang mit IT, was langfristig zu emotionaler Erschöpfung führen kann (Tawfik et al. 2021). Der Evaluation der Benutzerfreundlichkeit kommt damit besondere Bedeutung zu. Doch welche Aspekte gilt es hierbei zu berücksichtigen?

Benutzerfreundlichkeit als grundlegendes Qualitätsmerkmal Benutzerfreundlichkeit bedeutet, dass Software «menschenfreundlich», d.h. einfach und intuitiv, zu bedienen ist und alltägliche Aufgaben mit Leichtigkeit erledigt werden können. Ein wesentliches Qualitätsmerkmal also. Je besser ein PIS auf die Anforderungen des Alltags zugeschnitten ist und je mehr es sich an den Bedürfnissen der Benutzer orientiert, desto grösser ist auch der damit assoziierte Nutzen.

Praxisziele effektiv, effizient und mit hoher Zufriedenheit erreichen Die ISO-9241-11-Norm definiert Benutzerfreundlichkeit über «das Ausmass, in dem eine Software von Benutzern verwendet werden kann, um Ziele mit Effektivität, Effizienz und Zufriedenheit zu erreichen» (Herczeg 2018, s. Abb. 1). Ein PIS weist hohe Benutzerfreundlichkeit auf (Ziele = Ergebnis der Interaktion), wenn die Benutzer (z. B. Arzt, MPA) die Ziele (Dokumentation, Kommunikation, Interaktion) vollständig (Effektivität), mit geringem Aufwand (Effizienz) und mit gutem Ergebnis (Zufriedenheit) erreichen. Benutzerfreundlichkeit ist zudem kontextabhängig. Sie wird beeinflusst vom Setting, in dem die Benutzer arbeiten (Einzelpraxis, Gruppen oder Gemeinschaftspraxis). Des Weiteren wird sie durch die Art der verwendeten Endgeräte (Desktop-, Mobile-Devices), die Umgebung (Behandlungszimmer, Anmeldung), die Aufgabe (z. B. Dokumentation, Labor, Terminierung, Abrechnung) und die Eigenschaften der Benutzer (Motivation, IT-Erfahrung) beeinflusst.

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Beteiligung aller relevanten Benutzergruppen an der Evaluation
Die Einflüsse der Kontextfaktoren auf die Benutzerfreundlichkeit von Software weisen darauf hin, dass das Benutzererlebnis stark von einer Übereinstimmung zwischen den Merkmalen der Schnittstelle (User Interface Design) und den jeweiligen Merkmalen der Benutzer im Anwendungskontext (Mensch-Maschine-Interaktion) abhängt. Je nach den Kontextfaktoren kann das Nutzererlebnis bei ein und demselben PIS sehr unterschiedlich ausfallen. Der Arzt kann in der Behandlungssituation grösste Zufriedenheit erlangen, während die Praxisangestellten Misserfolge beim Erreichen administrativer Ziele erleben. Achten Sie deshalb darauf, dass am Evaluationsprozess möglichst alle Benutzergruppen beteiligt sind.

Konkrete Umsetzungsvorschläge zur Bewertung der Benutzerfreundlichkeit
Bei der Evaluation müssen die Testpersonen potenzielle PIS anhand von Entscheidungskriterien bewerten. Typische Bewertungskriterien zur Beurteilung der Benutzerfreundlichkeit sind die von Nielsen (2003). Sie sind generisch und berücksichtigen die wichtigsten Usability-Aspekte.
  • Sichtbarkeit des Systemstatus: Das PIS gibt Benutzern den Systemstatus an.
  • Übereinstimmung zwischen System und realer Welt: PIS «spricht Sprache der Benutzer», nicht mit systemorientierten Begriffen.
  • Benutzerkontrolle und Freiheit: Vorgänge lassen sich einfach rückgängig machen. Ausgangszustand kann wiederhergestellt werden.
  • Konsistenz und Standards: PIS entspricht fachlichen Standards und bildet diese eindeutig ab.
  • Wiedererkennen statt abrufen: Routinemässige Aktionen sind effizient ausführbar und können durch Workflows unterstützt werden.
  • Flexibilität und Effizienz der Nutzung: «Abkürzungen», z. B. Tastenkombinationen, beschleunigen die Interaktion. Nutzeransichten vereinfachen die Arbeit.
  • Ästhetisches und minimalistisches Design: Ansichten und Dialoge sind übersichtlich und enthalten keine irrelevanten Informationen.
  • Fehler erkennen, diagnostizieren und beheben: Das PIS gibt Warn-/Fehlermeldungen in einfacher Sprache aus und impliziert einen Lösungsvorschlag für ein Problem.
  • Fehlervermeidung: Ein intuitives UI verhindert, dass Fehler überhaupt auftreten.
  • Hilfe und Dokumentation: Strukturierte Hilfe und Dokumentation sind verfügbar.
Erweitert werden können diese Aspekte durch weitere Akzeptanzkriterien, die speziell für den Praxisbetrieb wichtig sind. Sie können einfach mithilfe des vorgestellten Usability-Frameworks (vgl. Abb. 1) ermittelt werden. Gehen Sie hierzu spezifische Anforderungen des Alltags durch und lassen Sie sich diese im PIS demonstrieren.

Die Bewertung kann im Rahmen der Herstellerpräsentation erfolgen. Lenken Sie den Fokus der Präsentation auf Ihre Bedürfnisse und lassen Sie sich Abläufe in der Software zeigen. Setzen Sie zudem Prioritäten bei der Bewertung: von «must have» zu «nice to have». Stellen Sie sich bei der Evaluation die tägliche Arbeit mit der Software vor. Bewerten Sie Kriterien z. B. auf einer Skala von 0 bis 10. Fordern Sie Ihre Mitarbeiter auf, Fragen zu stellen und für Sie relevante Kriterien zu überprüfen. Fragen Sie auch nach einer Demo. Praktisch jede kommerzielle Software hat heute ein Demonstrations- oder Evaluationspaket. Fragen Sie kritisch nach, wenn dies bei einem PIS-Anbieter nicht möglich sein sollte.

Jakob Tiebel, Praxisberater

Quellenverzeichnis:
  1. Herczeg M. (2018). Software-Ergonomie: Theorien, Modelle und Kriterien für gebrauchstaugliche interaktive Computersysteme. 4. Auflage, de Gruyter
  2. Nielsen J. (2003). Usability 101: introduction to usability. 2003
  3. Tawfik DS, et al. (2021). Frustration With Technology and its Relation to Emotional Exhaustion Among Health Care Workers: Cross-sectional Observational Study. J Med Internet Res. 2021 Jul 6;23(7):e26817

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